Grote, P
gewohnt, sie wirkten aufeinander eingespielt. Dass es kein Spiel war, begriff Martin schnell. Wovor fürchteten sie sich? Und was wollten sie von ihm?
»Wir werden englisch sprechen«, meinte Sofia, »Luciens Französisch ist nicht so gut.«
Obwohl ihm Deutsch oder Französisch lieber gewesen wäre, war Martin einverstanden. Um keine Fehler zu machen, fragte er: »Haben Sie mit Wein zu tun oder sind Sie auch in der Politik?«
»Nein. Ich arbeite bei der Advent International, einem U S-Konzern , eine Private-Equity-Gesellschaft.« Luciens Stimme schien aus den Tiefen eines Bergwerks zu kommen.
»Mein Bruder würde lieber bei einer rumänischen Firma statt bei einem Multi arbeiten«, unterbrach ihn Sofia, »aber es gibt nicht viele Möglichkeiten, genug Geld zu verdienen . . .«
Lucien warf seiner Schwester einen strafenden Blick zu, der wohl sagen wollte, dass er gut für sich selbst sprechen konnte. »Advent hat die rumänische LaborMed Pharma übernommen. Private Equity ist Ihnen ein Begriff?«
Martin schüttelte den Kopf und blickte hinüber zur Getränkeausgabe hinter dem Rudergänger; es war heiß, mindestens dreißig Grad, er hatte höllischen Durst. Er riss sich zusammen, er wollte nicht unhöflich sein und mit banalen Problemen kommen wie einem trockenen Mund.
»Advent hat unsere rumänische Firma aufgekauft. Jetzt wird sie umgebaut, viele Mitarbeiter werden rausgeworfen, die Struktur wird umgekrempelt, und wenn alles zur Zufriedenheit der Investoren verläuft, werden sie LaborMed wieder verkaufen. Das wird immer so gemacht bei Unternehmen, die nicht an der Börse notiert sind. Hundertsiebenundzwanzig Millionen haben sie gezahlt.«
»Wer hat das Geld, den Kaufpreis, bekommen?«
»Viele. Der Staat, Politiker, Anwälte, Vermittler, die Direktoren, alle, die das Geschäft eingefädelt haben . . .«
»Sie arbeiten dort nicht gern, entnehme ich Ihren Ausführungen.« Martin wollte höflich sein. »Meist zahlen Multis besser als die Einheimischen, in der Dritten Welt ist es überall so . . .« Kaum hatte er es gesagt, war ihm der Vergleich peinlich, es war ihm herausgerutscht.
Lucien ließ sich nicht anmerken, ob er beleidigt war. »Sie bezahlen nur ihre eigenen Leute gut, wir Rumänen haben uns zu bescheiden. Aber das ist es nicht, was mich stört, es sind die Methoden, die mir nicht gefallen. Der Mensch gilt nichts. Wir hatten das vorher schon, ein schreckliches System unter der Diktatur, alle hatten gehofft, dass es besser würde, ja, jetzt sehen wir klarer.« Das Bergwerk seufzte, bevor es für einen Augenblick die Arbeit einstellte, und man hörte ein Rauschen und den Motor des Bootes.
»So viel werden Sie von der kommunistischen Diktatur nicht mitbekommen haben, bei Ihrem Alter.« Martin schätzte Lucien auf Mitte dreißig.
»Als Ceauşescu 1989 erschossen wurde, war ich zwanzig Jahre alt. Ich habe damals studiert . . .«
». .. wenig später hat man ihm die Studienerlaubnis entzogen«, ergänzte Sofia.
Daher weht der Wind, dachte Martin. Wenn der Bruder so kritisch dachte wie Sofia, dann gestalteten die beiden Geschwister ihr Leben recht kompliziert. »Was war der Grund für den Rausschmiss? Westkontakte?«
»Ich hole uns etwas zu trinken. Was darf ich Ihnen mitbringen«, fragte Sofia. »Coca Cola, Pepsi, Fanta, Sprite, 7up, Hohes C – oder möchten Sie lieber ein Orangensaftkonzentrat, vakuumverpackt? Wir haben alles in Rumänien, alles, was das Herz begehrt.«
Ein Bier wäre Martin recht, der Bruder zog mit, und Sofia nutzte den Weg zur Getränkeausgabe, um die Gesichter der Fahrgäste genauer zu prüfen.
Im Bergwerk wurde die Arbeit wieder aufgenommen: »Sie kennt die Geschichte«, flüsterte Lucien, »aber es schmerzt sie noch immer, wenn sie es hört. Wir brauchen kein Geheimnis daraus zu machen, der Fall ist so offiziell, dass es offizieller nicht geht. Unser Vater war ein Dissident, einer der wenigen, die es in diesem Land damals gab – und heute noch gibt. Gefängnis, Verhöre, Schikanen, was Sie sich nur denken können . . .«
Martin konnte es sich nicht denken. Der Fall des Eisernen Vorhanges und der Mauer waren geräuschlos an ihm vorübergegangen, beides hatte ihn insofern berührt, als die Gefahr eines Atomkriegs gebannt war. Aber die DDR war ihm völlig fremd geblieben. Es gab dort keine Verwandten, und er hatte nie das Bedürfnis verspürt, die neuen Bundesländer kennenzulernen. Er hatte den russischen Pufferstaat immer als Hoheitsgebiet von Mitläufern betrachtet. Er war
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