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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Sprache mächtig waren.
    Es ist ein Trauerspiel, dass ich keine Zeitung lesen kann, dachte Martin und überlegte, wo er die ›Deutsche Zeitung‹ auftreiben konnte, von der er gehört hatte. Er hatte sie bislang an keinem Kiosk gesehen; auch englische und französische Blätter hatte er nicht entdeckt. Der Hotelportier würde wissen, wo man sie bekam.
    Das Taxi schob sich zentimeterweise vorwärts, die Rauchentwicklung im Wagen allerdings stand im entgegengesetzten Verhältnis zur Geschwindigkeit. Als Martin energischer bat, nicht zu rauchen, stellte der Fahrer den Taxameter ab und riss die rückwärtige Tür auf, dann bedeutete er ihm mit dem Daumen auszusteigen. Martin folgte der wohlgemeinten Aufforderung und fand rasch ein anderes Taxi, dessen jungem Fahrer im verschwitzten Boxershirt nur mühsam klarzumachen war, dass er die Musik leiser stellen sollte. Danach dröhnte sie zwar noch immer in den Ohren, doch davon bekam man keine Hustenanfälle.
    Der Fahrer mied die verstopften Boulevards und kurvte durch Villenviertel, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatten oder noch weit vor sich. Im letzten Moment riss er das Steuer herum, um einem Stau zu entgehen, durchquerte ein Parkhaus, nahm eine Abkürzung verkehrt herum durch eine Einbahnstraße, fuhr über einen Gewerbehof, und zu Martins Erstaunen befand er sich, nachdem er vollkommen die Orientierung verloren hatte, in der Nähe des Platzes, wo er den Wein gekauft hatte, und wenig später an der Piat¸a Charles de Gaulle. Von der Büste des Franzosen aus solle er den Weg hinunter zum See nehmen, sie würde am Anleger auf ihn warten, hatte ihn Sofia wissen lassen.
    Er erkannte Sofia kaum wieder. Sie trug zu verwaschenen Jeans eine Rüschenbluse, es war eine gewagte elegant-saloppe Kombination, dazu die hochhackigen Pumps, ein Aufzug, der leicht ins Ordinäre abgleiten konnte, doch nicht bei ihr. Es lag an der Art, wie sie die Kleidung trug. An ihrer Schulter baumelte eine kleine braune Umhängetasche. Was Martin zögern ließ, war der Hüne an ihrer Seite. Er war das genaue Gegenteil von ihr: Er war sehr groß, breitschultrig, hatte einen skeptischen und energischen Ausdruck und strahlte Kraft und einen starken Willen aus. Außerdem war der Riese eine Spur zu groß für seinen grauen Anzug. Aus den Ärmeln ragten Hände, die ohne Weiteres das Ausflugsboot hinter ihnen mitsamt seinen zwanzig Passagieren hätten umkippen können. Die Oberarme waren so kräftig, dass die Nähte der Ärmel aufzureißen drohten. Martin fürchtete den unausweichlichen Händedruck. Würde er danach jemals wieder eine Traubenschere richtig halten können? Wer war das – ihr Freund, ihr Ehemann oder ihr Leibwächter? Er hatte etwas von einem Slawen und einem Araber an sich. Letztere kannte er aus Frankreich, die Slawen gar nicht.
    »Mein Bruder Lucien«, sagte Sofia, heute wesentlich entspannter als im Ministerium.
    Die Ähnlichkeit war deutlich, die Augenpartie mit Nase und Augenbrauen hätte die von Zwillingen sein können. Und auch Luciens Augen glichen denen auf den Ikonen.
    »Ich habe von unserem Treffen berichtet, Lucien wollte Sie daraufhin unbedingt kennenlernen. Wir haben selten interessanten Besuch aus der Branche, wir haben mehr mit Technikern, Geschäftsleuten und Politikern zu tun. Da wird kaum ein klares Wort gesprochen. Ich habe mir gedacht, wir machen einen Ausflug, er wird uns guttun. Wir zeigen Ihnen die grüne Seite von Bukarest.« Sie lächelte ihr trauriges Lächeln, das allzu schnell ins Weinen hätte umschlagen können. Sie setzte eine Sonnenbrille auf und zog sich hinter die Gläser zurück.
    Lucien drückte nur mäßig zu, Martin bekam seine Hand heil zurück. Hoffentlich klopft mir Rübezahl nicht auf die Schulter, dachte er, aber das war bei seinem zurückhaltenden Wesen nicht zu erwarten. Sofia ging voran auf den Anleger, einerseits stolz, mit diesen zwei stattlichen Männern hier aufzukreuzen, andererseits schien es ihr unangenehm zu sein, denn sie sah sich mehrmals scheu um. Sie zahlte, man bestieg das kleine Boot als Letzte, und sofort wurde abgelegt.
    Martin wunderte sich darüber, dass die Geschwister das Ufer und die Spaziergänger beobachteten, als ob sie jemanden erwarteten oder sichergehen wollten, dass ihnen niemand folgte. Ihre Blicke schienen leer, sie fixierten nichts, schweiften scheinbar gedankenlos über die Weiden am Ufer und die Menschen, die dem Boot hinterherblickten. Es hatte den Anschein, als wären Sofia und Lucien derartige Manöver

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