Grote, P
gegenüber vom ehemaligen Königspalast. Als Nationalgalerie hatte man ihn einer besseren Verwendung zugeführt. Er nahm sich vor, der Galerieam Sonntag die Reverenz zu erweisen; die Gemälde würden ihn auf bessere Gedanken bringen. Ihm fiel das Bild von Gaugin ein, das an der Wand seines Wohnzimmers hing: ›Der Violincellist Upaupa Schneklud‹. Als er ins Foyer trat, dachte er an Charlotte, deren Umarmungen ihn häufig daran hinderten, so früh wie heute aufzustehen und loszurennen, aber nur mit dem frühmorgendlichen Lauf ließ sich ein Tag wie dieser überstehen.
Am späten Nachmittag, nach Stunden komplizierter Gespräche mit Weinexperten, Wirtschaftsfachleuten und zwielichtigen Anwälten, kehrte Martin ins Hotel zurück, hängte den Anzug an den Schrank auf einen Kleiderbügel und fiel ins Bett. So ausgelaugt wie auf dieser Reise hatte er sich noch nie gefühlt. Nach einem kurzen Schlaf und einer Dusche ging es ihm besser, für die abendliche Verabredung reichten eine leichte Hose und ein legeres, buntes Hemd.
»Achten Sie vor dem Einsteigen auf die Türen der Taxis!«, riet ihm der Portier, bevor Martin das Hotel wieder verließ. »Der Preis pro Kilometer ist auf die Türen gemalt. Und benutzen Sie nur Fahrzeuge mit Taxameter, die haben einen automatischen Quittungsschreiber. Anderenfalls werden Sie betrogen. Und sehen Sie sich die Gesichter der Fahrer an! Es sind schon Gäste direkt vor unserer Tür ausgeraubt worden, mit einem Messer am Hals . . .«
Unsinn. Martin empfand Bukarest nicht als gefährlich, ihn machte eine ganz andere Art von Bedrohung unsicher, eine, die er nicht fassen konnte. Er sah an der Reihe von Taxen vor dem Hotel entlang. 3,70 Lei stand auf der Beifahrertüre. Das war ein Euro pro Kilometer, nicht viel, es gab andere, die nahmen nur 1,70, und auch die Wartezeit pro Stunde war aufgemalt, denn an der Ecke zur Nationalgalerie kam der Wagen bereits wieder zum Stehen. In dieser Stadt standen die Autos – die einen bei laufendem Motor auf Kreuzungen und vor Ampeln, die anderen kreuz und quer auf Bürgersteigen, in Einfahrten und auf Zebrastreifen.Noch hatte Martin kein richtiges Verhältnis zu den Entfernungen, sonst wäre er zum Treffpunkt gelaufen. In seinen Weinbergen erledigte er alles zu Fuß und er scheute sich auch nicht, eine Stadt auf diese Weise zu erkunden. Aber in dieser verpesteten Atmosphäre blieb er lieber im Taxi. Hier ließ sich besser nachdenken. Dass der Fahrer Kette rauchte, störte ihn mit jeder Minute mehr, und dass er sich um seinen Protest nicht kümmerte, ärgerte ihn maßlos.
Er grübelte darüber, welche von Sofias Äußerungen dazu geführt hatte, dass sie zu ihrem Vorgesetzten gerufen worden war. Dass die Korruption an höchster Stelle besonders gut funktionierte und alle Gesetze, die das geändert hätten, von oben blockiert wurden, hatte sie eher beiläufig erwähnt.
»Jetzt gibt es sogar ein Gesetz für eine rückwirkende Amnestie.« Oder war es ihre Warnung vor korrupten Maklern und Anwälten? »Die machen mit den Verkäufern von Weinbergen gemeinsame Sache, erhöhen von sich aus die Bodenpreise und verschleppen Investitionsvorhaben.«
Das hätte Coulanges Besorgnis erklärt und wäre ein triftiger Grund, die SISA weiter im Hintergrund zu halten. Dass die kleinen Weinbauern, die lediglich für den Eigenbedarf produzierten, nicht über Bildung verfügten, sich lernunwillig zeigten und zu den Behörden keinerlei Vertrauen hatten, war sicher nicht der Anlass. Dann schon eher Sofias Äußerung, ja fast eine Warnung, dass die Securitate, der ehemals gefürchtete Geheimdienst der Diktatur, noch immer an der Macht sei.
»Stellen Sie sich das so vor«, hatte sie leise gesagt und sich wieder weit vorgebeugt, »bei Ihnen in Deutschland wäre die Stasi nicht entmachtet worden und die ehemaligen Agenten oder deren Kinder säßen alle noch in ihren Ämtern. Wie sähe es dann in der ehemaligen DDR aus? So ist es bei uns, nur kapitalistisch. Sechzig Prozent der Bevölkerung meinen, unter Ceauşescu sei alles besser gewesen. Sechzig Prozent!« Sie hatte verzweifelt den Kopf geschüttelt und wieder sehr zerbrechlich gewirkt.
Wenn ihr Boss mitgehört und früher zu dem Verein gehört hatte? Als Martin anfangs um ein Gespräch nachgesucht hatte, war er sofort gefragt worden, in welcher Sprache er die Besprechung führen wolle. »Auf Französisch . . .«, – nur deshalb war ihm Sofia zugeteilt worden. Also mussten sie über »Zuhörer« verfügen, die dieser
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