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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Damit war jeder Gedanke an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz dahin. Es gab drei Tote und 300   Verletzte, einer davon war ich.«
    Das menschliche Antlitz – dachte Martin, er sah sich wieder um. »Es ist meistens eine unansehnliche Fratze, die so ziemlich alles verdirbt, was sie anschaut. Gab es nicht in der Antike eine Göttin, die alles in Stein verwandelte, was sie anschaute? Jede gute Idee wird von uns Menschen zuschanden geritten, bis sich kein Tropfen Geld, Ansehen oder Macht mehr rauspressen lässt.« Er dachte an die großen Kellereien, die ihre Trauben pressten, bis der Trester staubtrocken war. Dass der Wein davon hart und bitter wurde – na und? Wurde es nicht mit den Menschen genauso gemacht? Wurden sie nicht genauso hart und bitter? »Ist es nicht gleichgültig, worum es geht? Um Religion, Politik oder Wirtschaft? Alles endet in Alleinherrschaft: ein Gott, ein Diktator, ein Konzern   ... da hätten wir die neue Dreifaltigkeit.«
    »Ich habe Sie bislang nicht für einen Zyniker gehalten.« Sofia verteilte die Getränke und setzte sich. »Muss ich meine Meinung über Sie korrigieren?«
    »Was ist das, ein Zyniker?«
    »Einer, der alle Wahrheiten verächtlich macht.«
    »Wahrheiten? Ich halte mich eigentlich mehr für einen Opportunisten«, sagte Martin fast zu sich selbst, »für einen, der das tut, was ihm geboten scheint.«
    »Nicht für einen, der sein Fähnchen nach dem Winde . . .«
    ». .. der Kreis war unterwandert«, unterbrach Lucien seine Schwester und winkte ab. »Es gab zu viele Einzelinteressen, die sich kaum vereinbaren ließen. Wer unseren Vater entführt hat? Wir glauben – beweisen können wir nichts   –, dass es die Männer um Ceauşescu waren, seine Männer, die alten und neuen Kader, die aus der ersten Reihe der KP.   Sie hatten die Zeichen des Umbruchs in Osteuropa erkannt, wie wir von unserem Vater wussten. Sie wussten, dass Ceauşescu sich nicht würde halten können. Aller Hass richtete sich damals auf den Diktator, auf eine einzelne Person. Also haben sie den ›Genius der Karpaten‹ hingerichtet. Sie ließen ihn hastig verurteilen und medienwirksam erschießen. Damit war dem Hass Genüge getan, das Volk hatte seinen Willen, und die ehemaligen Handlanger und jetzigen Vollstrecker blieben ungeschoren. Ion Iliescu war einer von ihnen, er war zuvor Präsident der Front zur Rettung des Vaterlandes – und dann machten sie ihn zum Präsidenten Rumäniens und teilten unser Land unter sich auf. So funktioniert das. Sie wollten die Macht – unser Vater wollte Demokratie, da hätte er gestört   ... und wir wollen das auch.«
    »Es war nie unser Land!«, unterbrach Sofia ihren Bruder, »nichts gehört uns hier.« Und mit der nächsten Frage zog sie Martin wieder ins Gespräch. »Wo fahren Sie als Nächstes hin, Mister Bongers, ach, das Monsieur gefällt mir besser, es passt zu Ihnen. Was ist Ihr Ziel, wenn Ihre Gespräche in Bukarest beendet sind?«
    »Ich will an die Küste, ans Schwarze Meer«, antwortete er, der Themenwechsel war ihm lieb, denn das Gesicht seines Gegenübers hatte sich bei den letzten Worten immer mehr verfinstert, das Grollen im Bergwerk war tiefer geworden, Martin fürchtete die Schlagwetterexplosion. »Ich fahre zuerst nach Constanţa, ans Schwarze Meer und nach Murfatlar. Ich möchte mir einen Eindruck verschaffen, ich möchte sehen, was für Weine dort angebaut werden, mich überGrundstückspreise informieren, mögliche Partner suchen. Ich weiß nicht einmal, ob überhaupt Land zu verkaufen ist.«
    »Ich zeige Ihnen etwas.« Sofia zog eine zerfledderte Broschüre hervor. »Wein und Reisen in Rumänien« stand darauf. »Mithilfe Ihrer GTZ hergestellt, der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit.« Sie blätterte darin. »Sechshundertdreiundneunzig Hektar«, sagte sie. »Und hier, bei der nächsten Kellerei gibt es keine Angaben, aber ich kann Sie Ihnen besorgen. Dann vierhundert Hektar, die nächste besitzt zweihundertvierzig Hektar, und hier die Spitze: zweitausendzweihundert Hektar – das ist Murfatlar, wo Sie hinfahren. Das gehörte alles einmal dem Volk, sozusagen uns! Was glauben Sie, was die jetzigen Besitzer dafür bezahlt haben?«
    Martin zuckte mit den Achseln, wie so oft, seit er hier war. »Sie werden es mir sagen.« Weingüter von derartigen Ausmaßen kannte er nicht, Latifundien wie diese gab es in Argentinien, in Südafrika und Australien. Er schmunzelte bei dem Gedanken an die drei Hektar von Gaston, mit denen er

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