Grote, P
Ihnen.«
Während die Geschwister über die Weinkarte gebeugt debattierten, musterte Martin die anderen Gäste. Er sah Gesichter, Großstädter, wie er sie aus Frankreich kannte, aus Deutschland, als Typen etwas markanter, dunkler vom Teint und vom Haar, doch in der Mimik auch so zurückgenommen wie dort, Gesichter mit wenig Freude am Sommerabend und dem idyllischen Platz am See. Es wurde weder gelacht noch laut geschwatzt.
Dann wieder dachte er an den Dolmetscher. Vielleicht war es doch keine gute Idee, ständig einen Fremden um sich zu haben. Als Freund der Geschwister würde er sie über seine Bewegungen wie auch über seine Gesprächspartner informieren und über den Inhalt der Verhandlungen. Andererseits konnte ein Dolmetscher hilfreiche Hinweise geben. Und er könnte ihm gegenüber den Eindruck erzeugen, als wäre er tatsächlich an einer Zusammenarbeit mit Sofia und Lucien interessiert.
Sie hatten sich auf einen Weißwein aus Cotnari geeinigt. »Das, was hier auf der Karte aus Murfatlar angeboten wird, möchte ich nicht empfehlen, die guten Weine sind nicht dabei, ich nehme an, Sie sind kein Freund halbtrockener und süßer Weine . . .«
»Gegen einen Sauternes vom Château d’Yquem oder Laville hätte ich nichts einzuwenden.«
»Das tranken nur die Parteibonzen früher, heute meine Chefs. Ich nehme auch nicht an, dass bei Ihnen derartige Kreszenzen alle Tage auf dem Tisch stehen. Der größte Teil unserer Weine wird in Zwei-Liter-Plastikflaschen in Supermärkten verkauft. Dafür trinken wir Rumänen fünfundneunzig Prozent unserer Produktion selbst.«
Lucien nahm zu schnell eine vorwurfsvolle Haltung ein. Er nahm alles viel zu ernst, und er nahm vieles übel, sah hinter allem eine böse Absicht. Martin wusste nicht recht,wie er mit dem spröden und distanziert auftretenden Mann umgehen sollte.
Sofia zeigte sich weniger kompliziert. »Wir wollen natürlich weg vom Image der Vergangenheit, dass aus Rumänien nur süße oder halbtrockene Weine kommen, obwohl das bei uns der gängige Geschmack ist und wir viel davon in die DDR exportiert haben. Liegt Cotnari auch auf Ihrer Reiseroute? Da kommen einige unserer besten Weißweine her.«
Martin wusste es nicht genau, er kannte seinen Reiseplan nicht auswendig und hatte Schwierigkeiten, sich die fremden Namen zu merken, zumal es bei ihm mit der Aussprache haperte.
»In Cotnari sind Sie fast in Bessarabien, vielleicht besser bekannt als Republik Moldawien. Die haben uns die Russen abgenommen.«
Der Wein kam, und Martin betrachtete ihn, wie er ins Glas floss, wie das Glyzerin innen Tränen bildete und die Außenseite beschlug. Es war ein flaches, blasses Gelb, aber der Wein duftete gut, eindeutig, es war das Aroma grüner Äpfel, und er probierte skeptisch.
»Immer auf der Hut?« Sofia lächelte ihn offen an. Martin begann sie zu mögen.
»Der ist gut, ich kenne ihn, hundert Prozent Frâncuşă-Trauben, eine autochthone, rein rumänische Rebsorte, im Volksmund›Tartară‹ genannt. Wie der 2007er ist, kann ich nicht sagen, aber der aus dem Vorjahr war in Ordnung, kein großer Wein, aber was Reelles . . .«
Der Wein war nicht süß, wie Martin befürchtet hatte, er war sehr trocken und angenehm frisch. Er rief weder Begeisterung noch Ablehnung hervor. Er stellte das Glas zurück, Lucien schenkte nach.
»Wo kann ich Ihren Dolmetscher treffen?«, fragte Martin. »Oder sprechen Sie mit ihm?«
»Ja. Er wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen, aber bittenicht per Telefon, das sollten Sie in Zukunft tunlichst vermeiden.«
Während Martin
icre
kennenlernte, einen delikaten weißen Aufstrich aus Fischrogen, und dem Wein mehr zusprach, als es für ihn gut war, erhielt er einen Einführungskurs in die politische Landschaft. Beide, Sofia wie Lucien, waren vom Elternhaus entsprechend geprägt. Sie sprachen von Verantwortung, von Zukunft und von fehlenden Perspektiven.
»Begriffe wie Sozialismus und Kommunismus sind seit der Wende unten durch, das waren sie längst. Wer bei uns von Gemeinschaft redet, macht sich lächerlich, wer gemeinsam mit anderen etwas aufbauen will, gerät sofort in die Defensive – und unter Verdacht. Bei dem Wort Solidarität gehen Ihnen die Leute aus dem Weg. Die Menschen haben Angst . . .«
». .. noch und schon wieder«, warf Sofia ein. »Und Angst macht dumm. Dem Rest ist alles egal. Der will überleben.«
». .. Angst vor der Securitate! Sie steckt in den Knochen, denn alle wissen es, aber keiner redet darüber, dass sie immer da ist. Die
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