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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Gewerkschaften sind machtlos, höchstens auf betrieblicher Ebene läuft etwas, auch kein Wunder, denn die Arbeiter bei Dacia und Nokia wissen, was die Kollegen im Westen verdienen, und bei uns sind knapp dreihundert Euro im Monat viel. Wer will davon leben?«
    »Ein Arbeiter im Weinberg verdient weniger, ich weiß von hundert Euro. Wer schlau ist, geht ins Ausland. Deshalb sind bei uns die Arbeitskräfte knapp. Drei oder vier von zwanzig Millionen Rumänen sind abgehauen . . .«
    Martin erinnerte sich an Grigore Constantinescu, den Rumänen vom Bistro in Castillon-la-Bataille, er sah den Billardtisch, davor Jacques mit dem Queue, er sah seine Garage, wo er seinen Wein machte, Charlotte kam ihm in den Sinn – ihre Zärtlichkeit fehlte ihm sehr, ihre Stimme an seinem Ohr, ihr verführerischer Nacken   ... Er fühlte etwaswie Sehnsucht, eine leichte Traurigkeit, Melancholie, und während er tat, als höre er zu, dachte er an den August, wenn Carolines Kinder kommen und sie im Garten die Tafel aufbauen und zusammen essen würden. Daniel würde bis zur Lese bleiben, er würde eines Tages das Weingut übernehmen und die Arbeit seines Vaters fortsetzen. Charlotte und er hatten es zwar gekauft, aber eigentlich nur geliehen, bis die nächste Generation es übernahm.
    ». .. Gehirnwäsche. Jeden Tag wieder«, meinte Lucien und schien nicht im Geringsten an dem Zander auf seinem Teller interessiert. »Die Amerikaner waren als Erste da, gleich nach der Wende, sie haben uns militärisch gegen die UdSSR abgesichert.«
    »Aus lauter Menschenfreundlichkeit«, warf Sofia ein, »Und um die Demokratie einzuführen. Sie lieben uns alle – haben sie gesagt,
we love you all.
«
    »Wohl mehr aus strategischem Interesse«, meinte ihr Bruder. »Sie konnten bei uns ihre Al-Quaida-Gefangenen zwischenlagern, bevor sie nach Guantanamo kamen. Die USA erhielten von der Regierung vier Militärbasen: den Flottenstützpunkt bei Constanţa am Schwarzen Meer, dann einen Militärflughafen namens Kogaliceanu. Man überließ ihnen Smârdan bei Brăila an der Donau, vielleicht kommen Sie auf Ihrem Weg nach Cotnari daran vorbei. Es gibt das Ausbildungslager Babadag im Donaudelta, das liegt abseits von Ihrem Weg, aber vielleicht das von Cincu bei Sibiu – oder Hermannstadt, wie ihr Deutschen sagt, das ist ganz in der Nähe.«
    Ihr Deutschen? Das erinnerte Martin einmal mehr daran, wie wenig er sich noch so empfand, wie sehr er sich hingegen als staatenlos betrachtete, wie unwichtig das Nationalgefühl geworden war, wie ihm das Europäersein zur Natur wurde.
    »Nichts ist umsonst«, grummelte Martin, den das Thema langweilte. Die Geschwister sahen ihn an, als verstünden sienicht, dass sich seine Bemerkung auf die USA bezog. Ihn ärgerte es, dass sie alle auf den Amerikanern herumhackten, obwohl sie selbst mit ihrem Europa nicht vorankamen, dass Politiker und Kommissionen die Idee der Gemeinschaft mit jedem Tag mehr verwässerten. Es war kein Europa der Menschen, seiner Bewohner, es war eines von denen, die es erfunden hatten, den Protagonisten der Montanunion – den Kohle- und Stahlmagnaten   –, und dass die Franzosen und Iren dagegen votiert hatten, hatte ihn gefreut. Viele Bewohner anderer Länder hätten es auch getan, die man deshalb vorsichtshalber nicht befragte.
    Was das Wort
înghet¸ată
mit Eiskrem zu tun hatte, erschloss sich Martin nicht, aber das Eis war gut, der Café crème auch, und der volle Magen entspannte die Atmosphäre nach dem Essen.
    »Mister Bongers«, Lucien holte tief Luft, Martin ging das »Mister« immer mehr auf den Wecker, und die nächsten Worte kamen wie mit dem Förderkorb aus den Tiefen des Erdinneren: »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, im Namen meiner Schwester.« Sie sah ihn an, als wüsste sie, was käme und als wäre es ihr peinlich. Das war nicht gespielt.
    »Nur zu«, ermunterte ihn Martin, »sprechen Sie offen. Nein sagen kann man ja immer noch.« Er lächelte.
    »Sie treffen morgen Sofias Chef . . .«
    Sie wussten also von dem Termin.
    ». .. würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns danach noch einmal treffen und Sie uns den einen oder anderen Hinweis geben könnten, was er in Zusammenhang mit Sofia gesagt hat? Die Stellung im Ministerium ist für sie so wichtig, lebenswichtig, und nicht nur persönlich, verstehen Sie?«
    Martin verstand es nicht.
    »Man hat dort Zugang zu vielem, man erfährt viel, über das Abhören zum Beispiel, wer mit wem   ... Wir wollen nichtalles kampflos aufgeben, uns

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