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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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irgendwelchen Machthabern über Lebensmittelhilfe zu verhandeln. Mit denen hatte sie früher als französische Regierungsbeauftragte bereits zu tun gehabt, und ihr neuer Auftraggeber nutzte ihre Beziehungen.
    Sofia war nach dem Treffen am See bemüht gewesen, Kontakte zu vertrauenswürdigen Personen des Weinbaus herzustellen und Martin zugänglich zu machen. Ihr Bruder hatte ihm die Adressen übergeben sowie zwei Umschläge mit Empfehlungsschreiben, die jedenfalls sollten die beiden versiegelten Briefe enthalten, die er »unbedingt nur persönlich« den Adressaten in die Hände drücken sollte. Martin empfand Lucien als kompliziert, schwer zu begreifen, abrupt und radikal in seinem Verhalten, und in Bezug auf den Verfolgungswahn zeigte er sich hysterischer als seine Schwester, obwohl Sofia mehr Grund dazu gehabt hätte.
    Sie waren zu dritt auf der Suche nach einem netten Straßencafé im alten Stadtzentrum herumgelaufen, und Lucien hatte sich fortwährend umgeschaut. Als sie sich im Schatten einer Markise setzten, hatte er wieder alles im Blick behalten müssen. Sofia hingegen hatte Martin ganz entspannt einiges über das Viertel erzählt, über die Geschichte der neoklassizistischen Bauten, die in sich zusammenfielen, über die streunenden Hunde. »Sie säen nicht, sie ernten nicht, und obwohl sie niemandem gehören, werden sie doch ernährt.« Während Lucien als Leibwächter und Beobachter fungierte,bekam Martin von Sofia die renovierungsbedürftigen Jugendstil-Stadthäuser vorgeführt, sie sprach von deren illustren Bewohnern und über die damaligen Gründerjahre, die sich im Grunde, wie sie meinte, von den jetzigen im Wesentlichen nicht sehr unterschieden. Bei dem Geschichtsbild der Geschwister war es verständlich, dass niemand eine Lobrede auf die »gute alte Zeit« hielt.
    »Die hat es für uns nie gegeben! Kaum war Großrumänien nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, begannen die Pogrome gegen Juden, im Zweiten Weltkrieg dann der Massenmord. Aber gute Weine wurden damals schon gemacht.«
    Martin wusste nicht, wie er die Bemerkung einordnen sollte. Sofia beschönigte nie etwas, wahrscheinlich hatte sie ihr lediglich als Überleitung zu dem Thema gedient, das Martin mehr beschäftigte: Wenn die von Lucien genannten Kontaktpersonen ihm in Sachen Wein weiterhelfen konnten, sollte es ihm recht sein.
    »Mit dem Dolmetscher habe ich gesprochen. Er hilft Ihnen gern, er hält es für eine interessante Aufgabe, mit Ihnen zu reisen. Josef Teubner stößt in Focşani zu Ihnen, Ihrer nächsten Station nach Constanţa.«
     
    Als Martin den ersten Wegweiser zur Hafenstadt entdeckte, geriet er in den nächsten Stau. Er brauchte sich für einen Moment lang weder auf den Stadtplan noch den Verkehr zu konzentrieren und schaute sich um. Rechts von ihm rosteten einige Autowracks am Straßenrand, zwischen ihnen stieg seltsamerweise Rauch auf, und er nahm eine flüchtige Bewegung wahr. Er stutzte, überlegte, ob das, was er sah, möglich war, und konnte sich kaum durchringen, es zu glauben. In einem dieser Schrotthaufen lebte eine alte Frau, die durch eine Beifahrertür ins Freie krabbelte. Die Fenster des Wagens hatte sie mit Plastiktüten verhängt, drinnen lag eine Matratze. Da hockte sich die in Lumpen gehüllte Frau vor ein offenes Feuer, und als Topf diente ihr eine Blechdose   ...
    Ihr Gesicht sah er nicht, es war von zotteligem Haar verdeckt. Das Gesehene unwillkürlich abwehrend, fuhr er weiter, wusste nicht, was er denken sollte. Ein Gefühl aus Schrecken, Abscheu und Mitleid breitete sich in ihm aus, er fragte sich, warum diese Frau dort gelandet war – sozusagen als Mensch auf dem Schrott – was für ein Leben sie hinter sich hatte und was noch kommen sollte   ...
    »Der Teufel hat den Ekel erfunden, um uns vom Mitleid abzuhalten.« Charlotte hatte das gesagt. Es dauerte eine Weile, bis das Bild der Frau vor Martins Augen verschwand.
    Das tat es schlagartig, als kurz vor ihm ein Pferdefuhrwerk einbog und ihn wegen des entgegenkommenden Sattelzuges zur Vollbremsung zwang. Anderthalb Stunden hatte er von der Mietwagenfirma bis an die Stadtgrenze gebraucht. Er war mit den Nerven fertig, noch bevor er die Autobahn erreicht hatte.
    Er bereute, dass er keinen V8   Geländewagen gemietet hatte, sondern nur einen blauen VW Passat, zwar einen Kombi, wie er ihn selbst zu Hause fuhr, aber für hiesige Verhältnisse war es ein Kleinwagen. Es hätte mindestens die S-Klasse , ein 5er BMW oder ein Land Cruiser sein müssen, um

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