Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
Vom Netzwerk:
nach weiteren zehn Metern der Schrank erneut zu Boden ging, hätte Martin durchaus Geld für das Schauspiel gegeben. Es war besser als alle öffentlich vorgeführten Skatertricks, Straßenmusikanten und zu Tränen rührende Bettler, die er in diesem Land bisher gesehen hatte. Dabei hatte die Situation in aller Komik durchaus eine tiefe Tragik, und er befürchtete, dass Lachen hier als unangebracht empfunden werden konnte. Also setzte er den Abstieg fort.
    Der Strand war schmutzig, der Sand von den Schleuderspuren der Autos und Quads aufgerissen. Die Strandbuden hatten vor zwanzig Jahren ihre Hochzeit gehabt und dienten mehr als Aborte, wo Leitungen und Rohre, soweit noch vorhanden, aus den Wänden ragten. Vorn, auf dem weit ins Meer reichenden Wellenbrecher, wohin es Martin zog, um das, was in seinem Rücken lag, nicht sehen zu müssen, angelten vier Jungen. Eine mehrfach gebrochene Betonpiste, deren Platten sich wie Eisschollen übereinandergeschoben und verkeilt hatten, führte zu ihnen. Die Jungen, nur einer besaß eine Rute, die anderen wickelten ihre Angelschnüre auf Flaschen, hatten nichts gefangen, es hätte Martin auch gewundert, wenn in diesem Meer Fische gelebt hätten. Er kletterte auf dem Wellenbrecher so weit wie möglich hinaus, um Constanţa hinter sich zu lassen, aber das Meer wurde deshalb nicht blauer, es roch nicht nach Meer, es war ruhiger, als er die Ostsee jemals gesehen hatte, und kein Schiff zeigte sich am Horizont, sie kamen nicht durch den Bretterzaun da hinten   ...
    Zurück auf der Promenade gewann er einen Blick überein Hafenbecken mit einem gewaltigen Bau an der Uferstraße, ein einzeln stehendes Gebäude, das alte Casino, Neobarock aus Marmor oder welcher Stil auch immer, alles war irgendwie neo, wahrscheinlich war auch die hiesige Spielart des Sozialismus irgendwie »neo« gewesen. Die rostigen Hafenkräne im Hintergrund stammten sicher aus jener Zeit, nur die Lichtreklamen des Kapitalismus waren von heute.
    Dass der römische Kaiser Augustus den Dichter Ovid hierher verbannt hatte, wunderte Martin nicht im Geringsten. Tomi hatte die Stadt damals geheißen. Martin schaute hinauf zu der Bronze des Mannes in der Toga und hätte wahrscheinlich ein ähnlich verzweifeltes Gesicht gezogen, wenn er länger hätte bleiben müssen. Er war froh, am nächsten Tag weiterzufahren, denn dieser Stadt fehlte jene Offenheit, die Hafenstädten zu eigen war, oder auch jenen, die im Gebirge lagen und einen weiten Blick gestatteten. Er begann mit der Suche nach einem Restaurant; es war Zeit fürs Abendessen. Nach einer Stunde kehrte er zurück. Er hatte Plätze gefunden, wo er sich gern niedergelassen hätte, wo es aus der Küche angenehm duftete – der Geruch der Küche war für ihn fast wichtiger als der Blick auf die Speisekarte, die er sowieso nicht verstand   –, doch die lückenlose Beschallung mit amerikanischer Popmusik, Stimmen, die so klangen wie Paris Hilton aussah, verleideten ihm jeden Appetit, und mürrisch betrat er das Hotel.
    Der Amerikaner, der ihm vorhin so freundlich zugenickt hatte, saß immer noch in der Lobby, statt beim Kaffee jetzt hinter einer rumänischen Zeitung. Als Martin an ihm vorbeiging, fragte er ihn, ob er ein empfehlenswertes Restaurant kenne. »Auf das, was die Dame an der Rezeption empfiehlt, will ich mich nicht verlassen.« Die Hotels würden die Gäste immer dahin schicken, wo sie die meisten Prozente bekämen.
    Martin musste ihn enttäuschen. »Ich habe im Reiseführergelesen, dass man im Casino gut essen soll, außerdem gibt es auf der Terrasse Musik.«
    Der Gast bedankte sich, und Martin ließ sich den Zimmerschlüssel geben. Er legte sich aufs Bett und starrte an die Decke, nur um sich kurz darauf in die Joggingklamotten zu stürzen und wie gehetzt zum Hotel »Malibu« zu fahren, wo er am Strand entlanglief, bis sein Kopf einigermaßen klar war und er nicht länger mit seiner Aufgabe haderte. Sie war zu schaffen und zeitlich begrenzt, er war nicht verbannt wie der antike Dichter und er wollte sich mit dieser Stadt und den Menschen versöhnen. Die Dusche wusch die graue Farbe aus seinen Gedanken, die immer wieder zu Sofia, Tudor Dragos und Lucien zurückeilten. Er hatte ein ungutes Gefühl und er hätte zu gern gewusst, was tatsächlich zwischen den dreien ablief. Er würde sie alle bestimmt wiedersehen – hoffentlich unter angenehmen Umständen.
    Er zog eine helle Hose an, streifte ein weißes Hemd über und fühlte sich endlich erleichtert. Von der

Weitere Kostenlose Bücher