Grote, P
es mit diesem Land aufzunehmen. Aber kaum war er auf der Autobahn, war es mit den Riesen-Pkws vorbei.
Die grüne Weite umfing ihn, die Leere war endlos, ringsum erstreckte sich das Nichts, die Autobahn berührte am Horizont den strahlend blauen Himmel über der Walachei. Also existierte sie doch, die »Walachei«. Es war nicht nur ein Wort, ein Synonym für das Nirgendwo, es gab sie zu Martins Überraschung tatsächlich, und in dieser Ebene, wo ein Haus auf zwanzig Kilometer sichtbar wurde, verstand er, weshalb die deutsche Sprache sich dieser Landschaft, die sich vom Südhang der Karpaten über die Donau hin bis zum Schwarzen Meer erstreckte, in Form einer Metapher bemächtigt hatte. Es ging nur geradeaus. Er hatte die gerade rote Linie der Autobahn auf der Karte bemerkt und sie für einenIrrtum gehalten, aber hier gab es nicht die geringste Kurve, es gab schlicht keine Notwendigkeit dafür. Etwas Ähnliches hatte er bislang weder in Europa noch in Südamerika gesehen, wohin ihn Charlotte auf einer ihrer Reisen mitgenommen hatte.
Charlotte. Er dachte an sie, auf dieser Autobahn konnte man denken, träumen. Er seufzte, sie fehlte ihm, sie hatten letzte Nacht lange telefoniert, er hatte in Shorts auf dem Bett des aufgeheizten Hotelzimmers gelegen, das Telefon am Ohr. Er hatte sich verloren gefühlt und sich wieder einmal über seine Unterschrift unter den Vertrag mit der SISA geärgert.
Während er an der Obergrenze der Geschwindigkeitsbegrenzung geradeaus fuhr, streifte er im Geiste durch sein Haus, durch seine Weinberge und versuchte, sich an den Geschmack des Weins in jedem einzelnen Fass zu erinnern. Bald würde es Zeit für die Assemblage, für die aus einer einzigen Rebsorte. Er füllte den gesamten Wein zur Harmonisierung nie in einen einzigen Tank, sondern mischte nur den Inhalt ganz bestimmter Fässer. Es war eine Spielerei, denn es kamen drei, wenn nötig vier oder fünf Merlot-Cuvées dabei heraus, die er speziell kennzeichnete und für die er seine speziellen Kunden fand.
Bei Dragalina überquerte er die erste Donaubrücke, und vor der Stadt Cernavodă, an der zweiten, passierte er die Schleusen zum Schwarzmeer-Kanal.
»Noch ein unnützes Werk, das uns der Genius der Karpaten auf einige Jahrhunderte hinterlassen hat«, wie Sofia gemeint hatte. »Niemand braucht den Kanal, zwei Milliarden Dollar hat er gekostet, der ist nur gut für die Fische, aber für sie viel zu verdreckt.« Sie ließ nicht ein gutes Haar an ihrem Land.
An den Schleusen war der Fahrspaß vorbei, von jetzt an quälte sich Martin in einer Kolonne mit Lastwagen über eine zerfahrene Landstraße, deren Löcher noch nicht mit E U-Euros zugeschüttet worden waren. Über die Gleise zurRechten rumpelte ein Zug verrosteter Tankwagen, die bei höherem Tempo jeden Augenblick aus den Schienen springen konnten. Ich muss mich zusammenreißen, dachte Martin und blickte konzentriert nach vorn, sonst denke ich wie Sofia und ihr Bruder, an dessen Bergwerksgrollen er sich erstaunlich gut gewöhnt hatte.
Für die siebzig Kilometer bis Constanţa brauchte er länger als für die zweihundert von Bukarest bis hierher. Er gelangte ins Stadtzentrum und hielt an einer Tankstelle, um sich nach dem Hotel »Malibu« zu erkundigen. Es dauerte eine Weile, bis ein anderer Fahrer, des Englischen mächtig, ihm erklärte, wie er zu dem Hotel nördlich der Stadt käme. Martin wollte es sich zumindest ansehen, obwohl er sich vorstellen konnte, dass es denen der spanischen Costa del Sol glich. Die Befürchtung traf zu, das »Malibu« gehörte zu einem Vergnügungspark für jene, die im Urlaub Sicherheit statt Erholung suchten und das Risiko scheuten. Er kehrte um, Preisersparnis hin oder her, er gab hier sowieso nicht sein eigenes Geld aus, und es war ihm lieb, dass er nicht unter Beobachtung eines »Genossen« von Tudor Dragos stehen würde. Auf die Absage verzichtete er.
Das »Voilà« war ein Mittelklassehotel in einer ruhigen Straße, die geradewegs auf den Hafen zuführte, die Halle schnörkelig wie das Wohnzimmer von Biedermanns, die Betten getrennt und puritanisch schmal und auch hier wie in den übrigen Hotels, Läden oder Restaurants ein wenig interessiertes, undurchdringliches Gesicht an der Rezeption. Anfangs hatte Martin geglaubt, das sei die ablehnende Haltung Ausländern gegenüber, aber die Rumänen gingen ähnlich lieblos miteinander um – verschlossen, distanziert und misstrauisch, nicht mal ein Lächeln, wenn man sich entgegenkam und beide zur
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