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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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gleichen Seite hin auswichen, woraus ein tänzelndes Hin und Her werden konnte und eine Verlegenheit sich ergab, die mit diesem Lächeln aufgelöst wurde. Langsam entstand in ihm ein Gefühl für das, washier in den Zeiten der Diktatur mit einem ganzen Volk geschehen war.
    Hatte Martin bislang die Idee des Kommunismus als etwas Positives gesehen, als ein Gesellschaftsmodell, das sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hatte, so geriet sein Weltbild nun ins Taumeln. Aber soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung und/oder Demokratie – »Jedem nach seinen Bedürfnissen und jeder nach seinen Fähigkeiten«   –, das war hier nie praktiziert worden. Kommunismus war das nicht gewesen, nichts von einem menschlichen Antlitz, wenn es das überhaupt gab. Eine Clique von Apparatschiks hatte von den Russen die Erlaubnis erhalten, an ihrer Stelle Macht auszuüben und das – so wie es sich für Martin darstellte – mit wachsender Begeisterung und steigenden Vergünstigungen genossen und sich selbstständig gemacht. Alle Versuche weltweit, diesen Kommunismus zu praktizieren, waren gescheitert, aber der Kapitalismus produzierte nicht weniger Elend und Tote. Wenn Charlotte von einer ihrer Reisen in die Katastrophengebiete zurückkam, brauchte sie Wochen, um sich davon zu erholen. Es war an der Zeit, dass sie damit aufhörte.
    Als er das Hotel verließ, nickte ihm der Nordamerikaner, der mit ihm eingecheckt hatte und jetzt in der Lobby vor einem Kaffee saß, freundlich zu. Erstaunt grüßte Martin zurück, es war das erste Lächeln an diesem Tag. Er zählte das Lächeln, es war so selten, dass er leicht die Übersicht behielt, und besser gelaunt machte er sich auf den Weg zum Strand. Das Meer würde ihm guttun. Bei der armenischen Kirche am Ende der Straße trat er ans Steilufer.
    Es hätte ihn nach einer Woche in Rumänien nicht gewundert, wenn das Schwarze Meer tatsächlich schwarz gewesen wäre, aber es war grau und in der heißen Windstille zu Blei erstarrt. Es war ein Meer, wie er es noch nie gesehen hatte. Ihm fehlte jegliche Dimension von Weite, und er konnte sich vorstellen, dass dort, wo das Meer an den Himmel stieß, einBretterzaun stand. Die Vorstellung, dass es einen Ausgang zum Mittelmeer geben sollte, war geradezu abwegig. Von dort waren die römischen Galeeren gekommen, hatten hier ihre nordafrikanischen Söldner ausgespuckt, die Söldner aus Kleinasien hatten gleichzeitig eine Brücke über die Donau gebaut und sich in Eilmärschen mit den Gelandeten verbündet. Dann wurden die dakischen Männer umgebracht und die Frauen vergewaltigt. Das war römische Zivilisation. Es war einer der Schrecken, die diesem Volk zugemutet worden waren. Der Trübsinn ergriff wieder von Martin Besitz.
    Eine Treppe aus Schüttbeton führte durch wucherndes Gestrüpp hinunter zum Strand. Er hatte den Hauch des Meeres erwartet, stattdessen schlug ihm aus den verwilderten Büschen der Gestank von Urin entgegen, im ungemähten Gras des Steilhangs lagen Papierfetzen, Plastikflaschen und Kot – von Menschen und Hunden.
    Als er noch überlegte, ob er weiter zum Wasser hinuntergehen sollte, kamen ihm zwei Männer entgegen, halbnackt und barfuß der eine, der andere trug ein zerrissenes Hemd, eine Anzughose und zwei verschiedene Turnschuhe. Die schweißüberströmten Männer schleppten einen alten Blechschrank. Der obere Teil war einigermaßen erhalten, unten herum war der Schrank total verrostet.
    Kaum gelangten sie nach oben an die Promenade, krachte der Schrank donnernd wie der Gong eines hinduistischen Gebirgsklosters zu Boden, was alle Passanten zum Stehenbleiben veranlasste. Der Träger mit dem Hemd beschimpfte den mit nacktem Oberkörper, die Schaulustigen rückten näher. Das Publikum zeigte keine Reaktion auf das Gebrüll der Männer. Wahrscheinlich stritten die Hitzköpfe um die richtige Methode, wie man einen halb verrosteten Blechschrank transportiert, oder warfen sich gegenseitig Versagen vor. Es nutzte ihnen wenig, denn kaum hatten sie ihn aufgenommen, rutschte er dem Hintermann aus den Händen und gab mitleiderregende Knirsch- und Klagelaute von sich,worauf auch der Vordermann seinen Teil aufs Kopfsteinpflaster fallen ließ. Der Lärm rief immer mehr Menschen zusammen, sie säumten bereits die Straße. Die Debatte setzte sich fort, jetzt wurde allerdings dazu heftig gestikuliert. Die Zuschauermenge wuchs, aber niemand sagte ein Wort, kein Laut, kein Beifall, den die braun gebrannten Männer mehr als verdient hatten. Als

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