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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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vorbeigekommen.« Er stand auf und schüttelte Martin herzlich die Hand. »Ich heiße eigentlich Simionescu, rumänisch, wissen Sie, aber in Amerika haben wir die letzten vier Buchstaben weggelassen. Man passt sich an. Nennen Sie mich Marc.«
     
    »Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist leider nicht verfügbar!«
    Unter der Festnetznummer war Harms nicht zu erreichen – und die Mobilfunknummer? Sie war besetzt. Also versuchte er es bei Sofia im Ministerium. Die sei heute nicht zur Arbeit gekommen und habe sich auch nicht entschuldigt, erklärte die Frau, die das Gespräch entgegennahm, vorwurfsvoll. Lucien habe sich heute freigenommen, sagte ein freundlicher Kollege des Riesen und gab Martin die privateRufnummer, wo sich auch niemand meldete. Dann wieder Harms, wieder besetzt. Zumindest konnte er beim Weingut den Termin für den Nachmittag bestätigen lassen. Ärgerlich machte Martin sich auf den Weg zur Post, an der er gestern vorbeigekommen war. Hoffentlich würde er sie wiederfinden. Er sollte dort auch einen der Briefe abschicken, die Lucien ihm mitgegeben hatte. Aber Sofias Bruder stand nicht als Absender auf dem Umschlag.

9
    Ließ Rumäniens Regierung die Post absichtlich verkommen, um sie dann zu einem niedrigen Preis an einen Investor zu verkaufen? Ein derart heruntergekommenes Postamt hatte Martin bislang noch nirgends gesehen. Zwanzig Jahre waren seit dem Untergang des Kommunismus vergangen – was hatten sie hier seitdem gemacht?
    Sichel hatte seine Adresse in Frankfurt nie geändert. Solange Martin den Versicherungsmakler kannte, wohnte er als Schnecke in einem kleinen Einfamilienhaus mit einem verwilderten Garten. Sichel hasste Umzüge, er hasste es, wenn seine Mandanten umzogen und in allen Dokumenten die Anschrift geändert werden musste. Und er hasste neue Telefonnummern. Seit Gastons Tod war Sichel Martins bester Freund. Er wusste fast alles von ihm, kannte seine finanziellen Verhältnisse, hatte mit ihm die Kreditverträge für den Kauf der neuen Weinberge aufgesetzt, er war sein Trauzeuge gewesen und er machte jedes Jahr bei ihm Ferien und half bei der Lese. Sichel war sein Anlageberater, sein Versicherungsmakler, Geldbeschaffer und seine Auskunftei.
    »Da gibt es irgendwelche Verbindungen zu einer Holding mit Sitz in Atlanta, aber das braucht dich nicht zu interessieren, heute gehört jede Firma irgendeiner anderen, jede gehört allen, und keinem gehört nichts. Sie haben alles so miteinander verbandelt, damit keiner durchblickt, vor allem nicht die Finanzämter. Aber bei der SISA habe ichnichts gefunden. Entweder sind sie wahnsinnig geschickt oder sauber.«
    Erst nach dieser Auskunft war Martin bereit gewesen, den Vertrag mit der SISA zu unterschreiben. Jetzt schrieb er Sichels Adresse aufs Kuvert, schob die fünf Kopien hinein, eine davon mit der Bitte, sich anderweitig nach einem »Zodiac« zu erkundigen, das Internet hätte er bereits danach durchforstet. Und während er das tat, hatte er zum ersten Mal selbst das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Hatte er sich bei Sofia oder Lucien angesteckt? Er ließ den Kugelschreiber wie unbeabsichtigt fallen und sah sich beim Bücken diskret um, aber die beiden alten Frauen und der Mann hinter ihm interessierten sich mehr für den runtergefallenen Kugelschreiber als für ihn. Die Frau hinter dem Postschalter betrachtete ihn ausdruckslos, als könnte sie in ihrem Leben nichts und niemand aus der Ruhe bringen. Sogar stoisch oder gleichgültig zu sein wäre für sie ein extremer Gefühlsausbruch, so absurd das auch klang. Sie nahm den Umschlag, klebte die Marken darauf und schob Martin einen Zettel mit den zu zahlenden Gebühren zu. Er lächelte, bedankte sich, aber das leere Gesicht bediente bereits den nächsten Sturkopf.
    Martin betrachtete das Postamt von außen, die vertrockneten Büsche davor, die eingeschlagenen Scheiben der Telefonzelle, das abgeschabte Treppengeländer und die Box des Losverkäufers, deren unteres Ende so vom Rost zerfressen war wie der Schrank, der gestern vom Strand heraufgebracht worden war. Ob die beiden Männer noch immer unterwegs waren, oder hatten sie ihn irgendwo liegen lassen?
    Während er zur Straße ging, wo sich die skurrile Szene abgespielt hatte, wägte er ab, welche Vorteile ihm Simions Begleitung einbrachte. Der Mann, noch ein Verlorener auf der Suche nach längst vertrockneten, ausgerissenen oder gekappten Wurzeln, tat ihm leid. Seine Frau war tot, die Kinder hatten keine Zeit, er war in Rente   – Martin

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