Grote, P
Kaffee.
»Machen Sie Ferien hier an der Küste?«, fragte er kauend.
Martin, dem nicht nach einer Unterhaltung zumute war, antwortete kurz angebunden. »Ich bin geschäftlich hier.«
Wenn er Ferien machte, was selten geschah, dann begleitete er höchstens mal Charlotte, sonst erforderten der Weinberg, die Garage und der Weinverkauf seine ständige Anwesenheit in Saint-Émilion. Er hätte sich an dem strahlendenMorgen lieber an Charlotte erinnert, an ihren Blick, ihren Duft, er hätte gern von seinem Zuhause geträumt, von seinem Haus und dem späten Frühstück im Garten, für das sie sich stets Zeit nahmen, statt dem Amerikaner zuzuhören, der anscheinend dringend Publikum brauchte. Dabei war ihm der Mann nicht unsympathisch.
»Meine Großeltern stammen von hier«, erzählte er. »Sie waren Rumänen, sie sind vor dem Krieg ausgewandert. Die Not hat sie getrieben. Meine Eltern sind bereits in Georgia geboren, wir sind Amerikaner, verstehen Sie?«
Martin verstand, wenn es bedeuten sollte, dass Simion auf seine Nationalität stolz war. Stolz? Das war eines dieser Worte, mit denen er nichts anfangen konnte. Wie konnte man auf einen Geburtsort oder eine Nationalität stolz sein? Das war ja bereits bei der eigenen Leistung schwierig, da wusste man selbst kaum, was eigenes oder fremdes Zutun, Glück oder Zufall war. Eine Sekunde lang schauderte ihm bei dem Gedanken, hier am Schwarzen Meer geboren worden zu sein.
»Anfang letzten Jahres ist meine Frau an Krebs gestorben, wissen Sie, es war eine lange Krankheit, ich habe sie bis zuletzt gepflegt und begleitet . . .«
»I am sorry« ,
murmelte Martin, er verabscheute diese Floskel, nicht ein U S-Film konnte darauf verzichten.
»Oh, das war eine schwere Zeit für mich, nein, das wünsche ich niemandem, ja, jeder muss sein Schicksal tragen. Und jetzt habe ich Zeit, viel Zeit, zu viel Zeit, und da habe ich gedacht, jetzt, wo in Rumänien alles anders ist, wo die Kommunisten weg sind, besuche ich meine alte Heimat.
Back to the roots,
verstehen Sie?«
»Und – haben Sie die Wurzeln gefunden?« Martin beschlich das Gefühl, dieses Gespräch bereits häufiger geführt zu haben.
Simion zögerte. »Ja vielleicht, sicher, aber anders, als ich gedacht habe.«
»Und was haben Sie gefunden?« Martin fragte mehr aus Höflichkeit, als dass es ihn interessierte.
»Ich bin noch nicht lange hier, ich spreche die Sprache nicht, da bleibt man draußen, obwohl viele Leute Englisch sprechen und wir Amerikaner hier sehr beliebt sind, beliebter als in vielen anderen europäischen Ländern. Sie sind aus Frankreich?«
Martin stutzte. »Nein, ich bin Deutscher«, sagte er ausweichend. Die Kurve hatte er noch im letzten Moment gekriegt. Wie kam Simion darauf?
»Geschäftlich – was bedeutet das? Bitte, entschuldigen Sie, aber ich bin neugierig. Hier ist so vieles geschäftlich. Was ist Ihr
business? «
»Der Wein . . .«
»Der Wein?« Simions Stimme schaltete auf Begeisterung um. »Großartig, wirklich großartig. Ich liebe Wein. Ich bin ein Fan guter Weine. Sie haben sicherlich gehört, dass Robert Mondavi gestorben ist? Schade um ihn, ein großer Mann.« Simion seufzte. »Schrecklich, dass die guten Leute immer zu früh sterben . . .«
»Er ist immerhin vierundneunzig Jahre alt geworden.«
»Ich war noch vor drei Jahren in Oakville im Napa Valley, noch zu Lebzeiten meiner Frau, wir haben den Opus One probiert«, Simion verdrehte die Augen, während er von einem Würstchen abbiss, »ein Traum von einem Wein. Eine Legende, der Wein so gut wie der Mann. Sie wissen, dass er und Baron Philippe de Rothschild damals auf Hawaii die Idee zu dem gemeinsamen Weingut hatten? Rothschild – von Château Mouton-Rothschild. Auf Hawaii – unglaublich . . .«
Normalerweise verabscheute Martin Leute, die mit ihrem Weinwissen hausieren gingen. Er wurde dann still und tat, als ob er zuhörte, dabei sah er sich die Klugscheißer ganz genau an, und langsam glaubte er, sie, wie auch die Etiketten- und Punktetrinker, von Weitem zu erkennen. Sie zubeobachten war eine Art Sport geworden. Aber Simion machte nicht den Eindruck, dass er protzte. Er schien aufrichtig begeistert, er strahlte, so wie die meisten Amerikaner, die Martin kannte, die sich in aufschäumender Begeisterung ergingen, doch der Schaum sackte meist so schnell in sich zusammen wie der eines zu schnell gezapften Bieres.
»Sie haben den Opus One probiert? Aus welchem Jahr?«
»Ich weiß es genau, es war der Jahrgang 2000, der größte Teil
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