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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Vorlage abgegeben hatte, ein Ort an den westlichen Ausläufern der Karpaten, nahe der Stadt Braşov. Martin beschloss, die Reise so einzurichten, dass er dort vorbeikam. Sofia hatte versprochen, ihm die wahre Geschichte des Grafen Dracula zu erzählen. Jetzt musste Martin jemand anderen finden, der ihm die Geschichte erzählte   ...
     
    »Haben Sie über die Todesumstände Ihrer Schwester mehr erfahren können?«
    Der Riese schüttelte den Kopf. »Man sagt mir nicht einmal, wer der Zeuge ist.« Luciens Stimme entsprach heute mehr der von stampfenden Maschinen. »Die Begründung müssen Sie sich anhören: Der Zeuge sei sich nicht sicher, ob es ein weißer Mercedes oder ein gelber Audi gewesen sei und ob ein Mann am Steuer saß oder eine Frau. Daher tappe die Polizei im Dunkeln. Für mich ist das eine klare Sache: Sie haben Sofia beseitigt.«
    »Ich war heute bei der Polizei und habe mich ganz nebenbei erkundigt, was mit Ihrer Schwester passiert ist.«
    Luciens Entsetzen war echt. »Sind Sie verrückt? Hier geht man nicht freiwillig zur Polizei, da wird man höchstens hingebracht. Was mischen Sie sich ein?« Lucien wurde laut: »Sofias Tod geht Sie nichts an! Vergessen Sie die ganze Sache, vergessen Sie’s, das ist ausschließlich mein oder unser Problem – der Familie, meine ich.«
    »Ihre Schwester hat uns miteinander bekannt gemacht, weil sie es wollte. Von den politischen Verhältnissen haben Sie mir erzählt, weil Sie es wollten. Über Korruption in Ämtern haben Sie berichtet, den Dolmetscher haben Sie mir angeboten – nicht ich habe danach gefragt. Sie bringen einiges durcheinander, Lucien.« Es war selten, dass Martin laut wurde, aber er war noch nicht fertig:
    »Und jetzt schnauzen Sie mich an? Das verbitte ich mir. Euer Ceauşescu mag an vielem schuld sein, aber nicht an allem. Mit den Nazis habt ihr euch verbündet, um die Russen zu überfallen, um Moldawien zurückzubekommen. Wozu habt ihr hundertsechzigtausend Juden umgebracht? Dann schnell die Seiten gewechselt, aber das hat euch die Besetzung durch die Sowjetunion eingebracht. Dass Hitler hochkam, lag an den Deutschen, dass Ceauşescu aufstieg, habt ihr zu verantworten. Vielleicht war er der kleinste gemeinsame Nenner für alle? Dass ihr weder den Holocaustnoch eure Securitate-Scheiße aufarbeitet, liegt nicht nur am Sozialismus. Sie, Lucien, reden vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz?«
    Lucien blickte ihn entsetzt an.
    »Dann setzen Sie erst mal selbst eines auf, ein menschliches Gesicht meine ich! Üben Sie vor dem Spiegel, es kann nicht schaden, erst recht nicht in eurem neuen Raubtierkapitalismus. Guten Tag!«
    Es stank Martin hier, es stank ihm ganz gewaltig. Er wollte sich mit Menschen aus dem Weingeschäft umgeben, mit Menschen, die noch den Himmel sahen, den Boden betrachteten und mit ihren Händen über die Weinstöcke strichen und die Berührung genossen, die eine Vision entwickelten und Geschmack und das Genießen liebten. Er wollte weg, weg aus dieser Hauptstadt, diesem Meer aus Stein und den neurotischen Menschen.
    Er stand auf und sah Lucien an, der Riese saß wie versteinert auf seinem Kaffeehausstuhl. Es war das dritte Café, in das er Martin bestellt hatte. Weshalb lud der Rumäne ihn nicht zu sich nach Hause ein? Tat man das hier nicht – oder schämte er sich?
    »Ich habe gelernt, Anteil an den Menschen zu nehmen, bei mir zu Hause (in Frankreich wollte er sagen, verkniff es sich aber gerade noch), da macht man das. Vielleicht war das falsch.«
    Lucien war das Kinn heruntergeklappt. Martin konnte sich gegen das aufsteigende Mitleid nicht wehren. Lucien mochte ein Riese sein, schien unerschütterlich in seiner Körpergröße, aber die persönlichen Verluste, die er hatte hinnehmen müssen, waren wohl zu hart gewesen.
    Martin wurde unsicher. Reagierte er überhaupt angemessen, oder musste Lucien dafür herhalten, dass ihm alles zu viel wurde und er sich selbst im Weg stand?
    »Ich haben Sie nur warnen wollen . . .«
    »Dann sagen Sie das so, dass man es versteht.«
    »Sie machen sich verdächtig. Kommen Sie zurück, setzen Sie sich wieder. Wer fragt, macht sich verdächtig – und unbeliebt. Es gibt Fragen, die stellt man besser nicht.«
    »Sie fragen doch auch.«
    »Das ist was anderes. Es ist mein Land, ich weiß, wen ich fragen kann und wonach, vor allem wie, ich kenne mich aus, ich weiß, wie weit man sich vorwagen darf, ich kenne das Risiko . . .«
    »Das scheint ziemlich hoch, falls der Unfall Ihrer Schwester fingiert

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