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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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war. Mir tut man nichts, ich bin Ausländer. Andererseits – mich raushalten? Ich bin schließlich E U-Bürger , das hier ist ein E U-Land .«
    Lucien seufzte mitleidig. »Man merkt, dass Sie im Westen aufgewachsen sind. Sie begreifen nichts.«
    »Was sollte ich denn begreifen?«
    »Dass wir byzantinisch sind. Der Rumäne sagt nie die volle Wahrheit. Vierhundert Jahre lang mussten wir die Türken an der Nase rumführen. Sie sind nicht mit uns fertig geworden und haben Griechen als Verwalter geschickt. Mit denen mussten wir uns dann arrangieren. Anschließend kamen die Habsburger, also mussten wir denen Sand in die Augen streuen, ja, und anschließend uns selbst, dabei ist es geblieben – jetzt ist Europa dran . . .«
    ». .. und dabei werden wir nicht einmal mit uns selbst fertig.«
    Es war eine fremde Stimme, die das in Martins Rücken sagte, und er schnellte erschrocken hoch. Da hatte jemand akzentfrei Deutsch gesprochen.
    Hinter ihm stand ein freundlicher Mann in Luciens Alter und machte das Victoryzeichen. »Josef Teubner, sehr zu Diensten. Und Sie, vermute ich mal, sind der deutsche Weinfreak?«
    Lucien erhob sich, drückte Martin auf seinen Stuhl zurück und zog den Fremden an den Tisch. Widerstand war zwecklos, Luciens Hände hätten jeden zerquetscht, eine davonbeließ er auf Martins Schulter. »Er wollte gehen, nachdem er mir stellvertretend für alle Rumänen die Meinung gesagt hat.«
    »Sie blasen gern anderen den Marsch. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen, oder so ähnlich, habe ich mal gehört«, sagte Teubner. »Worum ging’s denn?« Er rief der Bedienung etwas zu, die böse herüberblickte. Teubner strich mit der Hand unter dem Tisch entlang, als könnte dort ein Mikrofon versteckt sein, dann zog er die tropfenden Blumen aus der kleinen Vase und schüttelte sie kurz an seinem Ohr. »Entweder man macht es richtig oder gar nicht. So   – Herr Martin, jetzt muss ich mal kurz mit meinem Freund reden, in unserer Sprache. Wir haben nichts zu verheimlichen, aber Angelegenheiten, die das Gefühl betreffen, kann man besser in der eigenen Sprache ausdrücken. Es geht schließlich um den Tod einer Freundin.«
    Martin brauchte kein Verständnis zu heucheln, sein Groll verschwand bei Teubners Art. Lag es daran, dass er von jenen viel zitierten Siebenbürger Sachsen abstammte?
    »Es waren keine Sachsen«, erklärte Teubner, nachdem er die Unterhaltung mit Lucien, in der oft der Name Sofia gefallen war, beendet und eine riesige Portion Schokoladeneis verdrückt hatte. »Meine Urahnen stammen ursprünglich von der Mosel, von dort haben sie auch den Weinbau mitgebracht. Mein Großvater hat unter Ceauşescu in der Nähe von Hermannstadt – dem heutigen Sibiu – noch Weinbau betrieben; er hatte selbst sieben halbe Hektar. Mehr als einen halben Hektar durfte man später nicht behalten, was darüber lag, wurde enteignet. Aber er hatte die Weingärten der anderen Familienmitglieder unter seiner Obhut. Daher kenne ich mich aus. Ich habe ihn als Kind oft begleitet und mit ihm gearbeitet. Es hat mehr Spaß gemacht, als mir in der Schule idiotische Sachen von verschüchterten Lehrern anhören zu müssen. Das nur zum Hintergrund, und deshalb würde ich Sie gern begleiten.«
    Mit den Menschen rückte die Geschichte näher; was sonst nur Daten und Ereignisse in einem Buch waren, bekam ein Gesicht. Das von Teubner fand Martin sehr sympathisch. Er konnte sich gut vorstellen, mit ihm zu reisen. Simion passte schlecht dazu. Aber ihn jetzt auszubooten, wäre link gewesen. Doch da war noch die wie immer geartete Beziehung zu Lucien. Und die empfand Martin als gefährlich. Teubner würde ihn über seine Schritte informieren. »Woher kennen Sie . . .«
    »Lucien? Von den Demonstrationen. Vielmehr aus dem Krankenhaus, wo man uns hinterher behandelt hat. Ihn hat’s härter erwischt als mich, er hat sich wohl auch stärker gewehrt. Seitdem hasse ich Bergarbeiter. Aber von den Siebenbürgern waren kaum welche dabei.«
    »Er hätte abhauen können, die Siebenbürger wussten, wohin sie gehen sollten, die konnten nach Deutschland, es ist kaum noch einer hier, wir hingegen . . .«
    »Er hat recht.« Teubner bestätigte Luciens Einwand. »Euer Kanzler Schmidt hat uns von 1972 an raus- oder freigekauft, wie die DD R-Bürger , zehntausend jedes Jahr. War ein gutes Geschäft für Ceauşescu, aber schlecht für Rumänien, weil die Siebenbürger gearbeitet haben, sie waren ein Motor, anders als die Rumänen, die Ungarn, die Zigeuner und

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