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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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kaum konzentrieren. Lag es am Alkohol? Lag es an den vielen fremden Gesichtern ringsum? Sie störten ihn beim Frühstück. Die Nähe so vieler Menschen, von denen zwei sogar an seinem Tisch saßen und sich in einer ruppigen, unverständlichen Sprache unterhielten, war er nicht gewohnt. Die Stille seines Weinkellers und die Ruhe, die er zwischen den Reben fand, machten ihn empfindlicher für Einflüsse von außen, die er als verwirrend und sogar als verletzend empfand.
    Der Verabredung im Wirtschaftsministerium, die er nach seiner überraschenden Rückkehr nach Bukarest am Vortagnoch kurzfristig hatte vereinbaren können, sah er mit gemischten Gefühlen entgegen. Außerdem wollte er zur Polizei, um dem Diebstahl weiter nachzugehen, obwohl Simion ihm davon abgeraten hatte und nicht glaubte, dass er dort in irgendeiner Weise weiterkommen würde.
    »Für Sie, Martin, bedeutet der Verlust des Dokuments möglicherweise viel, was die Polizei nicht ermessen kann. Für die handelt es sich um eine Lappalie. Sie sind nur ein störender Ausländer, der den Betrieb stört, mit einem lächerlichen Problem. Sparen Sie sich die Zeit und den Ärger.« Und daran, dass er seine Dokumente wiederbekäme, sei überhaupt nicht zu denken. Der Weg, über die Betrachtung der von Überwachungskameras gemachten Filme den Dieb zu identifizieren, war nach Simions Ansicht der einzig Erfolg versprechende.
    »Aber wenn es jemand vom Hotelpersonal gewesen ist, kann der sich rausreden, dass er im Zimmer etwas erledigen musste, zum Beispiel, die Schokolade aufs Kopfkissen legen.«
    »Lassen Sie die Hotelangestellten ihre Ausreden selbst erfinden, Sie nehmen ja alles vorweg!« Damit hatte der Amerikaner in der Nacht die leicht alkoholisierte Debatte zu diesem Thema beendet.
    Das Treffen mit Lucien heute war wichtig. Er hatte sich freigenommen, um die Beisetzung seiner Schwester zu regeln. Und trotz seines Schmerzes wollte er Martin mit dem Dolmetscher bekannt machen. Es musste ihm viel daran liegen. Auf den Dolmetscher von Tudor Dragos wollte Martin lieber verzichten. Er hatte zwar nie eine Reise in den ehemaligen Ostblock unternommen, aber gehört, dass diese Dolmetscher, Reiseleiter oder Betreuer ihre Schutzbefohlenen auf Schritt und Tritt überwachten. »Der Tradition verpflichtet, aber der Moderne gegenüber aufgeschlossen.« Dieser dämliche Satz fand sich in zahllosen Hochglanzbroschüren von Kellereien. Martin wusste nicht, was damit gemeint war, aber in Bezug auf Rumänien könnte er passen.
    Wieder in seinem Zimmer wählte er erneut Harms’ Telefonnummern – wieder erreichte er ihn nicht. Wer war dieser Harms? Er wusste keine Antwort. Und dann der Zodiac. Der Wein war ein Gedicht über die Erde, trinkbare Lyrik, ein Duft orchestraler Dimension, dabei ohne jeden Dünkel, einfach und geradeaus und großartig und auch ein wenig tragisch. Mit dem Kellermeister oder Winzer, der für das Meisterwerk verantwortlich war, würde er sich zu gern unterhalten und mit ihm gemeinsam diverse Weine in ihren verschiedenen Reifestadien verkosten, so wie mit Gaston früher. Ein Tag würde dazu nicht reichen. Von dem Winzer oder Kellermeister könnte er lernen. Er ist längst ein alter Mann, kam Martin erst jetzt in den Sinn. Einem jungen Winzer hätte er den Wein nie zugetraut.
    Der Termin mit dem Wirtschaftsreferenten war erst für elf Uhr angesetzt. Das Ministerium lag an der Piat¸a Victorie. Martin war dort bereits vorbeigekommen und wusste, dass er nicht länger als eine halbe Stunde gehen würde. Er konnte sich die nervenaufreibende Warterei im Taxi und den grantelnden Fahrer ersparen. Ein ausgedehnter Spaziergang würde den Kater vertreiben.
    Er war pünktlich, aber man ließ ihn warten, der Sachbearbeiter für Auslandsinvestitionen befand sich in einer wichtigen Besprechung. Es war hier wie überall: Bei den Behörden ließ man ihn immer warten, hingegen hielt man in den Unternehmen die Termine genau ein.
    Der Sachbearbeiter machte einen gehetzten und zerrissenen Eindruck. Bereits beim Betreten des kleinen Besprechungszimmers, in das man Martin bugsiert hatte, zeigte er sich in Eile, er brachte das Gefühl mit, dass man ihm seine knappe Zeit raubte. Jede Frage, die Martin stellte, war eine zu viel. Mihail Streja war ein vielbeschäftigter Mann. Mit sorgenvoll zerknirschtem Gesicht erklärte er, wie der Privatisierungsprozess nach der »Revolution« abgelaufen sei, dass achttausendsiebenhundert Staatsunternehmen hätten privatisiertwerden müssen und

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