Grounded (German Edition)
nichts, keinen Scherz, keinen ernsten Ratschlag, nichts, was ich ihr daraufhin sagen konnte.
„Danny, ich will nicht.“
„Niemand will das.“
Mein Griff um sie wurde fester, als Ell wieder zu weinen begann.
„Aber was willst du machen, Ell? Aufgeben?“
Schniefen. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Sondern?“
„Ich weiß es nicht. Wissen, dass ich genug Zeit habe. Wissen, dass alles gut ausgehen wird. Wissen, dass ich nicht aufhören werde zu existieren. Das will ich. Und wenn ich schon nicht wissen kann, ob ich weiter existiere, dann will ich wenigstens mit Sicherheit wissen, dass ich irgendwann das Leben führen werde, das ich mir wünsche.“
„Aber das geht nicht.“
Meine Schwester schnaufte. Einer ihrer Finger vollführte sehr langsame, kreisende Bewegungen auf dem Teppich. „Weiß ich doch.“ Dann, flüsternd: „Ich hab aber Angst.“
Sie atmete jetzt gleichmäßiger, ihr Anfall war offensichtlich endgültig ausgestanden. Gott sei Dank. Ja, ich konnte ihre Gefühle gut verstehen. Es gab keine Garantie darauf, dass das Leben so verlaufen würde, wie sie, wie irgendjemand, es sich erhoffte. „Hm. Ell. Fakt ist, du weißt nicht, wie viel Zeit du hast. Du weißt auch nicht, ob in der Zeit all das passieren wird, was du dir wünschst“, fasste ich zusammen. Sie schnaufte erneut schicksalsergeben. Mir kam eine Idee. „Aber die Frage ist doch, was willst du machen? Willst du die Zeit, die du hast, damit verbringen, dich verrückt zu machen?“
Ein Seufzen. „Nein.“
„Eben.“
Sie seufzte ein weiteres Mal, dann waren wir eine Weile still und saßen einfach nur da – nebeneinander auf dem Teppichboden, meine Arme um ihren Körper geschlungen, sie mit dem Kinn auf den Knien. Ein verstohlener Blick auf die Uhr an der Wand verriet mir, dass es halb vier Uhr morgens war.
„Danny?“, sagte Ell schließlich leise.
„Hm?“
„Lässt du mir ein Bad ein?“
Elena blieb eine unendlich lange Zeit im Badezimmer.
Ich hatte mir vorgenommen auf sie zu warten um zu sehen, wie es ihr ging, aber nach einer Stunde konnte ich mich trotz Anstrengung nicht mehr wach halten und schlief ein.
*
Am nächsten Morgen war ich, vermutlich zum ersten Mal seit ihrer Geburt, vor meiner Schwester wach. Ihre Zimmertür war geschlossen und kein Ton drang nach draußen. Ich kam nicht umhin, mir Sorgen um Elena zu machen. Leise klopfte ich an das dunkle Material in Holzoptik. Schließlich öffnete ich die Tür einen Spalt weit und lugte ins Zimmer hinein. Ell lag langgestreckt, den Bauch nach oben, auf ihrer Matratze. Der rechte Arm war angewinkelt, ihre Wange lehnte an den Fingern. Ells Mund stand halb offen. Sie hatte lange nicht mehr so friedlich geschlafen.
Ich ließ sie in Ruhe und verrichtete mechanisch meine morgendliche Routine im Badezimmer. Anschließend stand ich ratlos in meinem Zimmer. Ohne genau zu wissen warum, holte ich mein Handy aus der Schublade im Wohnzimmer und schaltete es ein. Nach wenigen Minuten empfing das Gerät mehrere Nachrichten aus den letzten Tagen. Bei den meisten handelte es sich um verschiedene Variationen von „Gute Besserung“ und „Mein Beileid“. Diese Texte löschte ich umstandslos. Als ich eine drei Tage alte SMS von Nathalie fand, hielt ich inne.
Hey. Hast du unser Treffen vergessen? Warte schon seit einer Stunde auf dich. Kommst du später oder eher gar nicht mehr? Muss dir übrigens noch was erzählen!
Erst, als ich die Nachricht zwei weitere Male gelesen hatte, konnte ich mich vage daran erinnern, dass wir überhaupt verabredet gewesen waren. Stimmt, auf dem Beerdigungsumtrunk war irgendetwas von einem Treffen gesagt worden. Ein Seufzen stahl sich aus meiner Brust. Plötzlich hatte ich Kopfschmerzen und fühlte mich elend. Nicht, dass ich mich in den letzten Tagen nicht oft und reichlich elend gefühlt hätte, aber gerade war mir, zumindest für einen kurzen Augenblick, gewesen, als hätte ich wieder ein wenig durchatmen können. Bis jetzt.
Es war zwar erst sieben Uhr morgens, aber ich wählte dennoch Nathalies Nummer.
„Hmmm?“, meldete sie sich nach dreimaligem Läuten verschlafen am anderen Ende der Leitung. War Wochenende? Oder einer der Tage, an denen sie erst spät an der Uni sein musste und lange schlief? Ich wusste es nicht.
„Hey.“
„Danny!“
„Hallo. Ich hab dich geweckt, oder?“
„Oh, kein Problem, echt. Wie geht es dir? Schön, dass du anrufst.“
„Tut mir leid, dass ich dich … letztens versetzt habe.“
Ich fasste mir an
Weitere Kostenlose Bücher