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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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lustigere Wirkung als das Zeug, das sie hier in ihn einfüllen.
    Au. Sagt Gruber nicht, er ist ja kein Mädchen. «Na bitte», sagt die Ärztin und lockert das Gummiband an seinem Oberarm, «kommt schon». Ja, er spürt es. Sie sticht das Schmetterlingsding in seinen Arm, pflückt sich die gefüllten Injektionsspritzen aus dem Karton und drückt eine nach der anderen hinein: erst ein Antibrechzeug, dann Cortison gegen eventuelle Entzündungen, dann das Wundermittel. Es gibt, er hat das schon von Patienten im Nachbarbett gehört, immer dieses spezielle Wundermittel gegen genau diese spezielle Krebsart. Das ganz neue Ding, das haben sie immer und für jeden. Gerade erst mithilfe der Gentechnik entwickelt, mit ganz neuer Wirkweise, frisch erprobt.
    «So». Die Ärztin schließt die Kanüle des Beutels an, geht, ohne die Gummiräder auch nur zu berühren, einmal um Grubers Bett und drückt an so einem Bankomatding herum. «Wie hoch stellen Sie es ein?», fragt Gruber. Die Ärztin grinst Gruber gutmütig an. « 300  Milliliter.» « 400 !», sagt Gruber. «Okay,  350 .» Es ist ein Spiel, immerhin aber ein Spiel, das es Gruber, wenn er gewinnt, ermöglicht, eine halbe Stunde früher von hier zu verschwinden. Aufzustehen, sich benommen die Schuhe zuzubinden, sich die Haare in Form zu streichen, sich mit einem aufmunternden Blick von dem grauen Mann und der traurigen Frau zu verabschieden und dann ein wenig dizzy durch die Gänge zu laufen, vorbei an den Kapellen und Gebetsräumen für jede einzelne Konfession, an deren Ende auf dem Gang man kürzlich ein Starbucks eingerichtet hat, ein konfessionsübergreifendes. Nein, stimmt nicht, für die gläubigen Raucher gibt es weiter vorne eine eigene Ess- und Trinkkathedrale. Gruber war einmal da und fand, das sei vermutlich nur in Wien möglich, dass man im Krankenhauscafé rauchen darf, vor allem, wenn man, wie mehrere der Gäste, an einem Tropf hängt und ein im Nacken geknöpftes Krankenhausnachthemd trägt (das Gruber stets in Angst versetzt, ein Luftzug könne es hinten auseinanderwehen und ihm die Aussicht auf einen nackten, faltigen Hintern eröffnen. Es gibt Bademäntel! Bitte!!!). Heute würde Gruber nicht dorthin gehen, sondern durch die Trauben von Menschen in Straßenkleidung und Bademänteln und Rollstühlen nach draußen. Und er würde, wenn er das Spiel gewinnt, eine halbe Stunde früher vor dem Krankenhausfoyer stehen, sich eine anzünden und mit einem langen, tiefen Zug inhalieren. Jaaa. Gut. Und sich ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. «Okay,  350 .» Doktor Nowak stellt die Tropfgeschwindigkeit ein, sie spürt wohl, dass Gruber ein bisschen Tempo verträgt. Tempo, klassisches Mover-und-Shaker-Ding, typisch Gruber, was.
    «Genießen Sie den Ausblick. Bis später.» Sie lächelt. Gruber entspannt sich. Wo ist das iPhone? Hier. Was will er hören? Das nicht. Er würde gern Dead Weather hören, aber das geht nicht, er ist nicht allein im Zimmer, das wäre zu laut. Er will diesen Menschen da drüben – Gruber wundert sich, wo dieses ungewohnte Mitgefühl herkommt – nicht noch mehr Kummer machen. Früher hatte er so ein Mitgefühl nicht, er hatte überhaupt kein Bedürfnis nach derartigen Empfindungen. Er hat laute Musik in seinem iPod gehört, wann immer er laute Musik hören wollte, und wenn das irgendjemand nicht gepasst hat, hatte Gruber Worte und Blicke parat, die ihre Wirkung nie verfehlten. Hat er auch jetzt noch. Draußen. Aber hier? Ist das eine Nebenwirkung der Chemotherapie, dieses abartige Mitgefühl? Hat man das mit in diesen Beutel gemischt, dass ihm die Sorgen völlig fremder Menschen nicht mehr einfach nur scheißegal sind? Als er letztes Mal hier war, lag im Nebenbett ein Mann, und Gruber tat etwas, was ihm früher garantiert niemals eingefallen wäre. Er sprach mit diesem Mann. Beziehungsweise, er ließ mit sich sprechen. Der Mann, lang, dünn, haarlos, ein dreiundvierzigjähriger Familienvater, und er sollte nach dem Stand der Wissenschaft eigentlich nicht neben Gruber liegen, sondern im Grab, oder in einer Urne, seit vier Jahren schon. Sein Körper sei, sagte der Mann, voller Metastasen, Krebs in der Lunge, in den Knochen, überall. Aber jedes Jahr werde, sagte der Mann und sah Gruber mit sehr braunen, sehr warmen Augen unglaublich distanzlos an, jedes Jahr werde etwas Neues erfunden, noch ein Wundermittelchen und noch eine Therapie, und er lebe immer noch und gedenke so weiter zu machen. Gruber hatte wegschauen müssen, er hatte diese

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