Gruber Geht
sparen könnte. Hartmann gibt bekannt, was er mit dieser neuen Tatort-Kommissarin alles gerne würde, Jenny bringt zur Kenntnis, dass die Welt voller Arschlöcher sei, speziell männlicher, Mayer zitiert Thomas Mann, die Hermann hat die Wolken gezählt und träumt jetzt den Mond an, die Eichberger ist draufgekommen, dass jemand namens Mick Jagger tolle Musik macht, der Stallinger hat eindeutig zu viel getrunken, denn er beschimpft seine Frau und zwar so, dass sogar seine engsten Freunde in den Kommentaren besänftigend auf ihn einwirken. Gruber kommentiert: Weiter so, Stallinger! Lass dich nicht einschüchtern von den Weiberverstehern! Gruber hat eine Mail von Kathi, einen Thread seines Fitnessstudios und einen von Bob Dylan. Sein Status von heute früh («John Gruber fights the power») hat vierunddreißig Kommentare, jeder einzelne bescheuert. Eine Sharon und eine Sheryl wollen sich mit ihm anfreunden und zeigen auf ihren Profilfotos mächtig Dekolleté, Gruber ignoriert sie, Professionelle, nicht mit ihm. Eine Marie, eine Geli, eine Ella und eine Heidrun, die er auf Philipps und Hartmanns Profilen entdeckt und mit Freundschaftsanträgen beglückt hatte, haben ihn akzeptiert, erstaunlich genug, allerdings haben es fünf oder sechs andere, oder waren es sieben, nicht, scheiß drauf. Und Sarah hat ihm schon wieder keine Freundschaftsanfrage geschickt, was eine kleine, heiße Welle von Gekränktheit in Gruber aufsteigen lässt, andererseits: Wusste er doch, dass Sarah nicht so uncool ist, den ersten Schritt zu machen. Andererseits wäre Sarah natürlich cool genug, um nichts dabei zu finden, den ersten Schritt zu machen, und bei ihr wäre es auch cool, irgendwie. Warum nicht. Aber sie hat nicht. Gruber geht auf sein Profil, überlegt und schreibt dann «kocht Rindssuppe» in seinen Status. Das wird die Trotteln schön aus den Schuhen hauen, aber hallo. Wobei, schreibt man «Rindsuppe» oder «Rindssuppe»? Wurscht. Er schreibt noch einen Kommentar unter Philipps Status, einen etwas milderen diesmal, und schickt dann wie von selbst, ohne noch einmal darüber nachzudenken – Konsequenzen, Coolness-Quotient, Vorteil Sarah, alles scheißegal – Sarah eine Freundschaftsanfrage. Als er am nächsten Vormittag um elf herum aufwacht und noch im Halbschlaf seinen Laptop aufklappt, hat sie schon akzeptiert. John Gruber ist jetzt mit Sarah Vogel befreundet. Und John Gruber findet, der Tag könnte schlechter anfangen. Ja, könnte er.
Ungefähr sieben Sekunden lang hatte Gruber diesen Status auf Facebook stehen: «John Gruber hat Krebs». Sieben Sekunden am Tag nach dem dritten oder vierten Arztbesuch, am Tag der endgültigen Diagnose. Dann hat Gruber den Status wieder gelöscht –
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Gruber ist ein Draufgänger, aber kein Vollidiot. Er hat eher minderen Bedarf nach einer öffentlichen Therapiesitzung mit drei- oder vierhundert Hobby-Therapeuten und Ferndiagnostikern, wenngleich es interessant wäre, wie diese Pfeifen reagieren würden, wenn es hier einmal um etwas ginge, um etwas Echtes, Faktisches, Reales, um Leben und Tod. Aber Gruber wollte dann doch nicht der Trottel sein, an dem die Facebookmeute die Untiefen ihrer emotionalen Facetten ausloten kann, lieber nicht. Die Fini, eine eher entfernte Bekannte, hat ihm sofort ein Mail in die Box gestellt, ob alles okay sei mit ihm? Und er schrieb zurück, das sei nur ein Witz gewesen, er habe nur etwas ausprobieren wollen, habe aber die Geschmacklosigkeit selber gleich gemerkt undsoweiter, und sie hatte mit einer kurzen, halb erleichterten, halb tadelnden Mail geantwortet, und damit war die Geschichte erledigt, gottseidank.
Natürlich hat sich Gruber gefragt, ob es das jetzt war, und er fragt sich noch. Zum ersten Mal in Zürich, dann als er aus Zürich zurück war und tatsächlich gleich die Nummer anrief, die in dem Brief angegeben war. Eine Frauenstimme hatte ihn an einen Dr. Franzberger weiterverbunden, und der hatte mit einer solchen Erleichterung, ja Begeisterung auf Grubers Anruf reagiert, dass Gruber zum ersten Mal richtig Angst bekam, eine brutale, elementare, lähmende Angst, die ihm durch den Körper jagte und in den Kopf stieg, sein Herz rasen machte und seine Haut vibrieren ließ. Der Arzt gab ihm einen Termin noch am selben Tag, nur zwei Stunden später, was Grubers Angst potenzierte, und sie wurde angesichts der danach folgenden fast zeremoniellen Untersuchungen, der Blutabnahmen und
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