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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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angeschlagen. Kann sein, er ist einfach angeschlagen. War kein guter Tag bis jetzt. War ein vollumfänglich scheißverdammter Dreckstag.
    «I’m sorry», sagt Gruber, «for what I said.»
    Und jetzt dreht sich der Schwule um. Er hat rote Flecken im Gesicht, in seinem blassen, aber schönen, kurzbärtigen Gesicht, entweder weil ihm Grubers Demütigung gerade wieder eingefallen ist oder weil er noch erhitzt ist vom Sport. Gruber hat den Schwulen nicht gesehen während des Trainings, er hat seine Kraftübungen gemacht, noch mehr Eisen gepumpt als sonst, obwohl er eigentlich heute, an diesem Scheißtag, nach dieser Untersuchung, nach dieser Zwischendiagnose, nach diesem massiven, bedrohlichen Scheißrückschlag, nicht wusste, wofür. Er würde vielleicht nie wieder Muskeln brauchen. Die Schwuchtel war vermutlich in einer Box-Aerobic-Stunde gewesen oder Spinning oder Yoga oder in sonst einer schwulen Mädchensache, scheißegal.
    «Why?», sagt der Schwule und schaut Gruber überraschend fest und gerade in die Augen. Yoga vermutlich. Typischer Yoga-Typ. Diese aufdringliche Gelassenheit immer, das haben nur Yoga-Deppen. Der Schwule trägt jetzt einen grauen Margiela-V-Pullover, Gruber hat die Nähte im Nacken mit einer gewissen Sympathie registriert, darunter ein weißes V-Leiberl und eine Levi’s-Jeans. Weiße Sneakers.
    «Was, warum», sagt Gruber, «warum ich es gesagt habe oder warum es mir leid tut?» Tatsächlich tut es Gruber schon längst leid, dass er sich auf diese Konversation eingelassen hat. Na ja, eigentlich hat er sich nicht eingelassen, er hat sie begonnen. Wurscht, tut ihm halt das leid. Ich Trottel, denkt Gruber. Obwohl, es tut ihm eigentlich gar nicht leid, es ist eher gerade scheißpeinlich, aber Gruber, das spürt er, will es so. Er will nicht, dass der Schwule einfach abmarschiert. Eigenartig. Krank eigentlich. Egal. Der Schwule hat sein Handtuch abgegeben und ist schon fast an der Tür. Jetzt bleibt er stehen. Gruber ist sein Handtuch endlich auch los und holt ein bisschen auf.
    «Warum es dir leid tut», sagt der Schwule mit einem entsetzlichen Arnold-Schwarzenegger-Akzent. «Cause you were right. Kind of.»
    «I wasn’t», sagt Gruber und kann schon wieder nicht glauben, was er hört. «I was rude. I’m sorry.»
    «And I was stupid», sagt der Schwule und dreht sich zu Gruber um. «It’s fine. Are you fine?»
    Jetzt geschieht etwas sehr Ungewöhnliches mit Gruber, etwas, das im Gruberschen Raumzeitkontinuum faktisch niemals, nie, neverever vorkommt. Jetzt, in diesem Augenblick, weiß Gruber nicht, was er sagen soll. Nicht, weil ihm die englischen Begriffe für seinen Zustand nicht einfallen, es fallen ihm überhaupt keine Begriffe für seinen Zustand ein. Wie geht es ihm? Geht es ihm gut? Geht es ihm irgendwie? Geht es ihm halbwegs? Nein, es geht ihm Scheiße, er hat einen bösartigen Tumor im Bauch, der, wie sich heute erwies, nicht kleiner werden will. Aber er kann darüber gerade nichts sagen, er kann nicht sagen, wie Scheiße genau es geht, und nur Scheiße allein trifft es nicht. Gruber, um ehrlich zu sein, weiß es gerade nicht. Scheiße, ja. Es kommt nichts aus ihm heraus. Er weiß nicht, wie es ihm geht. Er weiß nicht, was er sagen soll. Er weiß nicht. Er steht einfach nur blöd und stumm da und starrt den Schwulen an.
    Und der lächelt jetzt. Und kommt auf Gruber zu. Und hält Gruber die Hand hin. Und lächelt weiter; herzlich, sehr warm. Und Gruber steht da und starrt den Schwulen an, den Schwulen und das Lächeln und die Hand, und ein großes, mächtiges Schluchzen steigt in seiner Kehle hoch. Gruber sieht dieses Lächeln, spürt diese Wärme und will weinen. Einfach nur losweinen, geradeheraus. Er fasst es selbst nicht. Es ist vollkommen gestört. Seine Augen brennen. Er kann das Schluchzen hinunterschlucken und die Tränen zurückhalten, aber es ist schwierig, und es fühlt sich falsch und ungesund an.
    «Hi», sagt der Schwule sanft, «I’m Henry.»
    «John», würgt Gruber und nimmt die Hand.
    «I know», sagt Henry.
    «So», sagt Gruber.
    «Yes», sagt Henry. «Would you like to have a drink, John?»
    «Yes», sagt Gruber. «I guess, I would.»
    Dann gehen sie gemeinsam aus dieser Tür hinaus, Henry hält sie Gruber auf. Und Henry weiß eine Bar in der Nähe, in einem der neuen Hotels und geht voraus, und Henry zeigt auf zwei Plätze an der Theke, es ist eine moderne, schummrige Bar mit leiser Plingplong-Musik. Und Henry lässt Gruber mit einer lockeren Geste den Barhocker

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