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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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in Berlin leben, aber er klebt hier irgendwie fest. Henry hat aber ein paar Freunde in Mitte, die er ziemlich oft besucht. Henry liebt Kunst und rennt, wenn möglich in jede Ausstellung und hin und wieder kauft er sich etwas. Was zuletzt? Zuletzt ein Foto. Henry hat zwei Geschwister, auch einen Bruder und eine Schwester wie Gruber, da schau her. Cheers!, aber Henry ist der älteste und seine Mutter ist schon lange tot. Leben deine Eltern noch? Sind sie noch zusammen? Nein, schon lange nicht mehr. Willst du darüber reden? Über meine Eltern? Nein, über deine Krankheit. Ich weiß nicht, sagt Gruber.
    «What exactly is it?», fragt Henry.
    Und Gruber erzählt es ihm dann doch nicht. Er will jetzt nicht darüber reden. Es spielt jetzt im Moment keine Rolle, es spielt vielleicht überhaupt keine Rolle mehr, also lets talk about something else. Something nice and beautiful. You.
    Und später liegt Gruber in Henry’s Arm, in Henry’s susser, gemutlicher, nein, schnockeliger Wohnung, in einem Bett mit zerknitterten Leinendecken, und Henry sagt nichts, und Gruber sagt nichts, und im C D -Player singt ein Mann, (der klingt wie aus den Siebzigern) irgendetwas darüber, dass er sich fühlt wie Sigourney Weaver, als sie die Aliens killte, merkwürdig altmodisch und irrsinnig schön. Wer ist das? John Grant. Schön, sehr schön. Alles fühlt sich viel normaler, viel selbstverständlicher, viel besser an, als Gruber es sich vorgestellt hat. Er weiß, dass dieser Moment nicht wiederkehren wird, er ist sicher, dass er nicht noch einmal hierherkommen wird, er ahnt, dass er mit Henry in keiner Bar mehr sitzen wird, und er glaubt nicht, dass er Henry je wieder küssen wird. Aber im Moment ist Henrys Arm der Platz zu sein, Grubers Ist-gerade-gut-Ort, Grubers Sie-befinden-sich-hier, sein Richtig im Jetzt.

Was denn das sei, fragt Kathi, und Gruber wird ein bissl rot. Und er merkt es.
    Na, wonach es denn ausähe, fragt Gruber, und küsst sie auf beide Wangen.
    Als sei er der Neigungsgruppe Almöhi beigetreten, sagt Kathi.
    Das sei ja eh noch nix, sagt Gruber, das werde ja erst.
    Erstaunlich, sagt Kathi.
    Was denn daran bitte so erstaunlich sei?
    Unkontrollierte Gesichtsbehaarung bei ihrem Kontrollfreak-Bruder, sagt Kathi.
    Das sei selbstverständlich überhaupt nicht unkontrolliert, sagt Gruber, das sähe nur so aus. Das solle nur so aussehen. Die Kunst des kontrollierten Kontrollverlustes sozusagen, die Ästhetik des beherrschten Wildwuchses.
    Aha, sagt Kathi, stünde ihm aber.
    Gell, sagt Gruber.
    Gruber hat den Kindern Heftln von der Tankstelle mitgebracht und Süßigkeiten, sie sind ihm entgegengelaufen, haben ihre Maut abgegriffen und sind kichernd wieder davon, während hinter ihnen Bonbonpapierchen über die Wiese wehten. Kinder rennen immer, denkt Gruber, und dass er noch nie ein Kind hat gehen sehen, außer es wurde von der Hand eines Erwachsenen wie an einer Leine gebremst. Kinder können wahrscheinlich gar nicht gehen, denkt Gruber, das haben die noch nicht im Bewegungsapparat, die müssen rennen, geht nicht anders. Jetzt nähert sich der Spießer, Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Cordhose, er versucht, konstatiert Gruber, so zu tun, als sei er vollends begeistert, dass Gruber ohne Preisgabe eines Zeitlimits in seinem Haus zu Besuch ist, was tüchtig misslingt. Allerdings wagt es der Spießer natürlich nicht, einem Todkranken mit offener Ungastlichkeit gegenüberzutreten. Feige Sau, denkt Gruber, während der Spießer seine riesige Tasche mustert. Denk dir da bloß nichts, denkt sich Gruber, ich verreise nie mit kleinerem Gepäck, und ich weiß übrigens selber nicht, wie lang ich es bei euch aushalte. Aber wenn du weiter so schaust, bleibe ich die ganzen sieben Tage bis zur neuen Chemo. Und vielleicht bleibe ich auch so sieben Tage.
    «Meine Verehrung, lieber Schwager», sagt Gruber.
    «Servas», sagt der Spießer. «Hast hergefunden.»
    Ja, hat er. Hierher aufs Land. Er hat den Porsche am Straßenrand geparkt, ungern, bei all den besoffenen Bauern, die ihre Traktoren durch die Gegend jagen, aber eine Garage gibt es hier ja nicht. Und das Ansinnen, den Wagen in den Garten zu fahren, wurde von Kathi, dem Spießer und der Mutter einmal, als der Porsche noch neu gewesen war, mit derart ungläubigem Spottgelächter kommentiert, dass Gruber einen zweiten Versuch gerne unterlässt. Der Garten ist eine dichte, fett grüne Wildnis. Keine solche penibel am Reißbrett angelegte, mit Farbtabellen und Wuchskalendern

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