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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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ihm das Plateau durchschnitt und widmete dann seine
Aufmerksamkeit dem Weg. Ein falscher Schritt reichte aus, um mit den Fuß
abzuknicken, zu stolpern oder sich das Bein zu verdrehen. Auch Engler müsste
beständig nach unten schauen und sein Nacken wäre damit auf diesem Weg
schutzlos der Sonne ausgesetzt.
    In der Senke verlor sich der Pfad zwischen Geröll und
kargem Bewuchs, der aus dem porösen Kalkgestein kaum Feuchtigkeit aufnehmen
konnte. Vor ihm breitete sich eine Landschaft aus, die atemberaubend schön,
aber bei Witterungsverhältnissen, wie denen in diesem Sommer, ausgesprochen
lebensfeindlich war. Selbst seine Ziegen würden in dieser Ödnis verrecken,
vermutete Alain. Er hoffte, dass, wenn er hier und heute sterben müsste, jemand
sich rechtzeitigder Tiere erbarmte, die er am frühen Morgen
zurückgelassen hatte.
    Ein kurzer Blick zurück zeigte ihm, dass Engler sich
mühsam über das Geröll bewegte, mit einigem Abstand zu Pauline, die mit
schlafwandlerischer Sicherheit voranschritt. Alain begann, den Hang auf der
gegenüberliegenden Seite der Senke hinaufzusteigen. Hier gab es keinen Pfad.
Glatte Felspartien wechselten mit scharfkantigen Kalksteinabbrüchen, Geröll und
niedrigem Garigue-Bewuchs. Der Hang war nach Süden geneigt, der Sonne
zugewandt. Am oberen Rand der Senke, von wo aus sich das Plateau leicht nach
Norden neigte, begann lichter Baumbewuchs. Ausgedörrte, von Flechten überzogene
niedrige Eichen und vereinzelte, windgebeugte Pinien wuchsen dort, dazwischen
krallte sich dürres Strauchwerk in die Ritzen des Karsts.
    Er würde ihre kleine Gruppe, solange Engler seine Absicht
nicht durchschaute, an der Südseite entlang und erst später in einem weiten
Bogen durch den Baumbewuchs zurückführen. Am Ende würden sie den Gouffre erreichen. Einen schmalen Riss, der sich unvermittelt in der leicht
abschüssigen Felsplatte auftat. Nicht länger als ein Mann und kaum einen halben
Meter breit. Ein Höllenschlund, der zunächst siebzig Meter lotrecht in die
Tiefe führte und sich dabei zu einem von Stalaktiten gesäumten Dom weitete, um
von dort erneut sechshundert Meter bis in das Innerste des Vaucluse-Gebirges
hinabzustürzen.
    Alain verband mit dem Gouffre keine feste Absicht. Es war
einfach eine Option. Pauline und er könnten versuchen, Engler abzulenken oder
ihn vielleicht zu einer unvorsichtigen Handlung zu bewegen. Meist lag ein
rostiges Eisengitter lose über dem Schlund. Gelegentlich war das Gitter aber
auch nur achtlos an einen Baum gelehnt oder kaum sichtbar im dürren Gestrüpp
abgelegt. Solange Engler ihnen gegenüber durch die Pistole im Vorteil war,
wollte Alain alle Möglichkeiten der Umgebung ausloten, um ihn überwältigen zu
können. Und es würde ausreichend Möglichkeiten geben.
    Zum einen bot der Karst mit seinen Felsabbrüchen und
Gouffres ideale Geländebedingungen für überraschende Aktionen. Zum anderen gab
es die Tierwelt. Alain wusste, wo Skorpione sich gern versteckt hielten und er
könnte auch gezielt nach Nestern von Hornissen, Wespen oder wilden Bienen
suchen und Engler ahnungslos dorthin locken. Viel wirksamer als deren Gift war
aber das der Aspisviper. Ihr Gift konnte tödlich sein, wenngleich dies bei
Englers Statur kaum zu erwarten war. Noch hilfreicher als die Viper wäre die
Eidechsennatter. Diese Schlange war hochgiftig, wenngleich ihre weit im Rachen
liegenden Giftzähne einem Menschen bei einem Biss nur selten gefährlich werden
konnten. Alain rechnete aber mit dem höllischen Schrecken, den ausgewachsene
Tiere, die es auf Armdicke und eine Länge von zweieinhalb Metern brachten, bei
einem unvermittelten Kontakt auslösen konnten.
    Beide Schlangen würden Alain eine fantastische
Gelegenheit eröffnen, Engler zu überwältigen. Die Gewohnheiten dieser Tiere
waren ihm vertraut. Er kannte ihre Verstecke während der Mittagshitze und ihr
Verhalten, wenn sie sich bedroht fühlten. Er musste Engler gegen den Wind an
eine Schlange heranführen, die mit ihrer gespaltenen Zunge nicht nur exzellent
Duftstoffe aufnehmen, sondern damit auch sehr genau die Richtung aus der sie
kamen, bestimmen konnte. Und sie mussten sich ihr nähern, ohne durch Tritte
Erschütterungen des Bodens auszulösen, die von einer Schlange über den
Unterkiefer wahrgenommen werden konnten, wenn deren Kopf auf dem Boden ruhte.
Es wäre eine interessante Herausforderung, dies zu bewerkstelligen.
     
    Während er weiter einer imaginären Linie entlang des
Hangs folgte, hörte er hinter sich

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