Grün. Le vert de la Provence
Jung? Alt? Dick? Dünn? Schütteres oder volles Haar?“
„Wir sind ziemlich schnell gefahren. Dabei habe ich nicht
so lange in den Rückspiegel schauen können. Ich konnte nur erkennen, dass ein
Mann am Steuer saß. Außerdem gibt es vermutlich Unmengen grauer Clios in der
Region. Das ist nun kein ungewöhnliches Auto.“
„War es wirklich eine Verfolgung? Oder sind sie nur
zufällig hintereinander her gerast?“, fragte Vidal nach, Anselms
Einschränkungen ignorierend.
„Dass er mich verfolgt hat, ist absolut klar. Ich habe
immer weiter beschleunigt und er ist an mir drangeblieben. Dann habe ich an
einer Kreuzung eine Vollbremsung gemacht und er hat mich dabei überholt. Er ist
einen kurzen Moment lang stehen geblieben und dann nach rechts abgebogen. Ich
bin nach links gefahren.“
„Sie sind sich aber schon bewusst, dass dies der Mörder
von drei Menschen sein könnte!“ Gauthier war hinter Anselm und Valerie stehen
geblieben. „Ohne Ihr Schweigen wären wir diesem Mann vielleicht schon auf der
Spur.“
„Raphael!“, sagte Valerie leise. Sie und Anselm sahen
sich flüchtig an.
Vidal folgte den Blicken, fixierte die Gesichter.
„Raphael wer?“, fragte er.
„Einfach Raphael eben!“ Anselm kam Valerie mit einer
Antwort zuvor. „Ein Kolumbianer. Arbeitet für Christoph Seefelder oder besser,
für dessen Firma oder Firmen. Madame Baumann hat einmal zufällig von seiner
Existenz erfahren. Er soll gefährlich sein und die schmutzigen Aufgaben für
Seefelders Unternehmungen erledigen.“
„Sie kennen ihn ebenfalls?“
„Madame Baumann hat mir von ihm erzählt. Ich glaube
allerdings, dass dieser Mann mir gestern in Aix begegnet ist. Oder,
genaugenommen, hat er mich im Les Deux Garçons beobachtet, als ich dort
auf Monsieur Seefelder gewartet habe.“
„Woran haben Sie erkennen können, dass es sich um diesen
Raphael gehandelt hat?“, fragte Gauthier, der sich neben Vidal gestellt hatte,
um Anselm und Valerie beobachten zu können.
„Der Gedanke ist mir erst später am Sonntag gekommen, als
Madame Baumann mir von diesem Mann erzählt hat. Der, den ich in Aix gesehen
habe, war ein auffallend konventionell gekleideter Südamerikaner, der selbst
bei der ungeheuren Hitze und Schwüle Sonntagmittag noch einen Anzug mit
Krawatte getragen hat. Er hat mich ganz ungezwungen eine Weile gemustert und
dabei gelächelt. Es war gegen elf Uhr. Ich hatte Christoph Seefelder durch die
Haushälterin diese Uhrzeit und den Treffpunkt ausrichten lassen. Er ist aber
nicht gekommen.“
„Und Sie glauben, dass er Ihnen stattdessen seinen
Raphael geschickt hat?“ Gauthier verschränkte die Arme vor der Brust und neigte
den Kopf leicht zur Seite.
„Möglich wäre es. Nach allem, was hier in den vergangenen
Tagen passiert ist!“
„Wir haben uns ein wenig mit Monsieur Seefelder
beschäftigt.“ Gauthiers Tonfall wurde dozierend. „Eigentlich sind geschäftliche
Auslandsaktivitäten von Unternehmen nicht unser Aufgabengebiet, aber man kommt
bei Monsieur Seefelder nicht umhin, sich dafür zu interessieren. Wir mussten
dazu bei anderen Ermittlungsbehörden nachfragen, die normalerweise nicht so
auskunftsfreudig sind. Auch uns gegenüber nicht. Aber wir haben trotzdem
einiges über den Herrn und seine Seefelder Biotechnology erfahren. Und eines
ist sicher, es gibt keinen Mann namens Raphael.
Raphael ist ein System! Eine virtuelle Größe, ein Mythos!
Das Böse muss einfach einen Namen haben und ein vermeintliches Äußeres. So wie
der Teufel. Da steht auch ein Name für etwas, das man fürchten muss. Und es
gibt Abbildungen, die den Menschen eine Vorstellung von dem Grauen geben, das
auf sie wartet. Ein Ungeheuer mit Hörnern und Pferdefuß.
Und so verhält es sich eben auch mit Raphael, dem
Kolumbianer. Jeder fürchtet ihn, jeder meint, ihm schon begegnet zu sein.
Zumindest jeder, der Grund hat, ihn zu fürchten. Allein die Imagination treibt
ganze Sippen aus ihren Urwalddörfern in die Flucht und einzelne geschäftliche
Gegner von SBT sogar in den Selbstmord. Raphael ist ein sehr wirksames
Instrument.“
Die Spülhilfe schaute wieder in die Küche, begleitet vom
Chef des Hauses. Vidal winkte mit der Hand ab. „Einen kurzen Moment noch!“ Er
hatte in einem Regal einen Korb mit geschnittenem Baguette entdeckt und sich
eine Scheibe herausgezogen. Seit dem Aufstehen und dem trockenen Brot bei Julie
hatte er nichts mehr gegessen. Er begann langsam an dem Brot zu knabbern. „Wenn
Sie daran gedacht haben, dass
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