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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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gar nicht, wenn er
schon tot ist.“ Vidal fuhr im Schritttempo und reckte den Kopf nach rechts,
während er sprach, um möglichst viel von dem Château sehen zu können. Es
bestand aus zwei Gebäuden, dazwischen zog sich eine etwas niedrigere,
zinnenbewehrte Mauer, durch die das Haupttor in den Hof führte. Je ein Rundturm
erhob sich am Anfang und am Ende des Ensembles, daran schlossen sich ummauerte
Gärten.
    „Ich könnte einmal meinen alten Vater fragen. Der war
Geschichtslehrer und hat die Zeit damals ja auch selbst miterlebt. Der muss da
so um die sechzehn gewesen sein.“
    „Gute Idee!“ Im Rückspiegel verschwand das Château jetzt
hinter Bäumen. Die Straße führte schnurgerade in einen dichter werdenden Wald
hinein. „Gibt’s sonst noch was?“
    „Nichts Besonderes. Ich lege alles auf deinen
Schreibtisch und geh jetzt nach Hause.“
    Vidal widmete sich wieder der Landschaft. Die Straße wand
sich in ein weit ausladendes Tal. Links ragte über mehrere Kilometer ein
gewaltiges Felsplateau empor. Er hielt an und suchte auf der Karte nach einer
Orientierung. Das Felsmassiv faszinierte ihn. Rocher de la Marlène. Er
glaubte, davon schon einmal gehört zu haben, konnte sich aber nicht mehr genau
daran erinnern und entschied, bei der nächsten Gelegenheit einen Ausflug
dorthin zu machen.
     
    Gauthiers Notizen lagen oben auf einer Reihe von Akten.
Vidal sah flüchtig auf die Papiere. Von keinem dieser Fälle würde der
unmittelbare Weltuntergang noch an diesem Tag ausgehen. Gauthiers Entscheidung
für das Privatleben war die einzig richtige. Aber Gauthier hatte Familie. Frau
und Kinder waren vermutlich ein guter Grund, Arbeitstage auch einmal als
beendet anzusehen. Für Vidal waren der Sportkanal und die Mikrowelle zu den
wichtigsten Bezugspunkten seines Privatlebens geworden. Er aß, ohne
wahrzunehmen, was es war. Er trank, nur um in einen Zustand flauschiger
Gelassenheit zu gelangen. Meist Bier aus Dosen. Früher hatte er sorgfältig
Weine ausgewählt, um den Genuss der jeweiligen Speisen zu vervollkommnen. Seine
Freundschaften begrenzten sich zunehmend auf Menschen, die, wie auch er, nicht
die Aufrichtigkeit zeigen konnten oder wollten, dass eigentlich keinerlei Bezug
zu dem Leben des jeweils anderen bestand. Man kannte sich und gab sich der
Illusion von Nähe hin. Selbst der Sex war schleichend einem ehr belanglosem
Ritual gewichen.
    Aber es gab Julie. Seit wann kannten sie sich? Er konnte
sich nicht mehr erinnern. Irgendwann hatte sich zwischen ihnen ein Zustand
ausgeprägt, den er als eine Beziehung betrachtete. Aber wann hatten sie zuletzt
miteinander Zeit verbracht? War es eine Woche her? Oder anderthalb? Er rief an
und fragte.
     
    „Du tickst nicht ganz richtig, Luc!“, empörte sich Julie.
„Wir haben uns jetzt mehr als vier Wochen weder gesehen noch gesprochen. Ich
sollte eigentlich gleich wieder auflegen. Du gehst hier morgens raus und
meldest dich dann einfach nicht mehr.“
    „Ich hab Stress. Ich weiß, das klingt abgedroschen und
blöde. Aber es ist nun mal so. Und du hättest ja auch anrufen können.“
    „Hab ich! Mehrfach. Meine Nummer hättest du auf deinem
Telefon eigentlich sehen müssen. Das hat dich aber anscheinend auch nicht
motiviert, mal zurückzurufen.“
    „War scheiße von mir. Tut mir leid. Aber …“
    „Nichts aber, Luc. Wer glaubst du bin ich? Und vor allem,
wer glaubst du, dass du bist?“
    „Du hast völlig Recht. Gib mir eine Chance, das wieder
gutzumachen.“
    „Luc Vidal als Dackel. Das ist grotesk. Ausgerechnet du!
Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir ein Paar sind. Das wäre mir
nämlich in den letzten Wochen aufgefallen. Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob
du ein Freund bist oder nur einer von vielen Irrtümern in meinem Leben.“
    „Hast du einen neuen?“
    „Luc! Ich bin achtunddreißig. Mein Alltag besteht aus Aufstehen,
in überfüllten Bussen zur Arbeit zu fahren, in einem tristen Büro zu arbeiten,
umgeben von Familienvätern, die einer Frau in meinem Alter zugestehen, eine
Affäre zu sein und sonst nichts. Danach fahre ich mit überfüllten Bussen wieder
nach Hause und kaufe in meinem kleinen Laden um die Ecke das Nötigste ein. Da
sind mit mir noch einige rüstige Rentner, die mir immer mal wieder Komplimente
machen. Et c’est tout! Für die nächste Woge partnerschaftsfähiger Männer
muss ich warten, bis die erste große Scheidungswelle bei den Endvierzigern
anrollt oder einen Kluburlaub buchen, bei dem dynamische Jungmanager,

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