Grün. Le vert de la Provence
dem sich lediglich direkt unterhalb der Stelle, an der er
angehalten hatte, ein kleiner Ort abhob. Die geheimnisvollen Raketensilos waren
nirgendwo zu erkennen, wohl aber die Gebäude und Radaranlagen eines von hohen
Zäunen gesicherten Stützpunkts.
Anselm fragte sich, welche Informationen er eigentlich
von Alain bekommen könnte. Dieser Mann hauste spartanisch in völliger
Weltabgeschiedenheit und hatte offensichtlich keine herausragenden Bedürfnisse.
Er war zwar mit Ed vertraut gewesen, aber passte doch so gar nicht in das Leben
der beiden Baumanns. Aber da war der Garten, den er liebevoll und professionell
pflegte und dies wohl schon seit einer kleinen Ewigkeit. Und da war Anselms
Gefühl, dass Alain in Belle Lumière eigentlich immer präsent war. Er
hatte ihn in den vergangenen beiden Tagen nie direkt gesehen, aber immer kleine
Anzeichen für dessen Gegenwart bemerkt; ein Schatten, der hinter einer Hauswand
verschwand; trockenes Laub, das plötzlich zusammengekehrt und entfernt worden
war; frisch bewässerte Pflanzen. Seit er Dienstagabend auf die Terrasse
getreten war, hatte er sich unter ständiger Beobachtung gewähnt, allerdings nie
mit Valerie darüber gesprochen. Auch ihr mussten die kleinen Signale
aufgefallen sein, sie hatte aber keine Bemühungen gezeigt, mit dem „Phantom“
Kontakt aufzunehmen oder ihn gar Anselm zu präsentieren. Sie hatte auch nur
wenig über Alain erzählt, und ihn, anders als Sophie, auch nicht als ein
wesentliches Mitglied des Haushalts dargestellt.
Es war am gestrigen Abend immer wieder „Sophie hier,
Sophie dort“ gewesen und auch als Anselm in Eds persönlichen Unterlagen nach
brauchbaren Spuren suchen wollte, wurde Sophie von zuhause gerufen, die dann
Notizzettel, Terminkalender und Bücher mit eingeklebten Post-its aus den
diversen von Ed bevorzugten Räumen, Schränken und Sekretären hervorzauberte.
Vor Sophie, so schien es, hatte es nie Geheimnisse in diesem Hause gegeben.
Vielleicht sollte es auch nur so scheinen.
Ed hatte in der Provence ganz konventionell seine Termine
und Notizen in einen Moleskine geschrieben. In Köln verwaltete das Sekretariat
seine geschäftlichen Termine am Computer. Eine Pauline konnten sie in dem
Terminkalender schnell identifizieren. An dem Vormittag, an dem Valerie beide
auf dem Markt in Prades entdeckt hatte, stand ein „P“ bei elf Uhr mit dem
Zusatz „Prades“. Die beiden hatten sich fast regelmäßig auf den Märkten
getroffen, mal in Prades, mal in Montigny. Dazwischen tauchten „Ps“ auch mit
anderen Ortsbezeichnungen auf: „P Hof“, „P Pont-de-Ouvèze “ und mehrmals
auch „P Avignon“ oder Carpentras . Die beiden hatten also auch Touren
gemeinsam unternommen. Ob Ed dabei jemals eine Nacht mit Pauline verbracht
haben konnte, war auch Valerie nicht klar. Er war in den Wochen, die sie in
diesem Sommer in der Provence verbracht hatten, oft für einige Tage nach Köln
oder zu Terminen mit Autoren oder Geschäftspartnern geflogen und natürlich
hätte er einen dieser Termine auch erfinden und die Zeit mit Pauline verbringen
können. Diesen Schluss ließ der Moleskine aber nicht zu.
Häufig tauchte in dem Kalender auch das Kürzel „CS“ auf,
einmal mit dem Zusatz „ Rue Cardinale “, und Valerie benötigte auffallend
lange zum Erklären des Kürzels. „Christoph Seefelder“, hatte sie schließlich
gesagt. „Ein entfernter Bekannter aus unserem Kölner Umfeld. Er besitzt ein
Pharmaunternehmen oder so etwas ähnliches, mit einem Zweigwerk bei Marseille.
Ed spielt mit ihm zusammen in Köln gelegentlich Golf.“ Lachend hatte sie
hinzugefügt: „Kölner Klüngel, heißt das da oben. Eine Hand wäscht die andere.
Vermutlich haben die beiden hier weitergeklüngelt, wenn CS in der Provence
war.“
Da oben! Für Anselm klang das wie die Lokation auf einem
fernen Planeten. Dabei lebte Valerie in Köln, und das, seit sie Ed kannte, was
seines Wissens seit Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre der Fall sein
durfte.
Es gab weitere Eintragungen im Kalender, die Hinweise auf
Eds ausgedehnte Recherchetouren gaben. Er war häufig in Bibliotheken und Museen
gewesen, hatte mehrere Einträge mit der Ergänzung „Uni“, was auf Avignon
schließen ließ, und schließlich gab es zahlreiche Verabredungen mit diversen
Kürzeln in Restaurants, von denen Valerie die meisten kannte. Mit Pauline war
Ed am kommenden Mittwoch wieder auf dem Markt in Montigny verabredet gewesen.
Für Anselm war es absolut unzweifelhaft, dass
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