Grün. Le vert de la Provence
zu kommen oder er muss mit uns zusammen hinein.“
Montag, 23. August
Beiläufige Morde
Luc Vidal saß auf der Bettkante. Bleich, in sich
zusammengesunken und mit geschlossenen Augen. Er hatte sich am Abend sofort ins
Bett gelegt, Julie hatte das Zimmer so gut wie möglich verdunkelt und ihm
regelmäßig Kühlkissen auf die Stirn gelegt. Viel mehr konnte sie nicht tun.
Diese bedrückende Erkenntnis hatte sie bereits in der Vergangenheit gesammelt,
wenn er von einer Migräne-Attacke befallen worden war. Sie hatte jedes Geräusch
vermieden und sogar auf der Couch übernachtet, um ihn so wenig wie möglich zu
stören. Trotzdem musste Luc immer wieder aufstehen und sich quälend übergeben.
Eine der vielen Facetten der mörderischen Schmerzen.
Sie hatte Tee gemacht, hielt ihren Arm um seine sonst
straffen und muskulösen Schultern, die jetzt wie die eines alten Mannes
kraftlos herabhingen. „Du musst etwas trinken! Du bist völlig dehydriert nach
dieser Nacht.“ Er nippte winzige Schlucke aus der Tasse, legte sich dann aber
unmittelbar wieder hin.
„Wie spät ist es?“, fragte er mit fast tonloser Stimme.
„Gleich halb sieben.“
„Ich muss los! Hilf mir bitte aufzustehen.“
„Erst noch einen Schluck! Bitte!“
Er nippte noch ein weiteres Mal an der Tasse und stand
dann mit Julies Hilfe auf, ging schleichend und mit wankendem Körper in
Richtung Bad, blieb aber, sich mit einer Hand am Türrahmen festhaltend, dann
noch gut eine Minute stehen, bis er den Weg fortsetzen konnte.
Sie hatte zwischenzeitlich einen Espresso auf der
Herdplatte gekocht und ihn mit warmem Wasser verdünnt. Er starrte auf die Tasse
und das getoastete Stück Baguette vor sich. Zögernd trank er in kleinen
Schlucken und knabberte lustlos an dem Brot. „Ich habe den Zusammenhang
zwischen den beiden Mordanschlägen gefunden“, sagte er schließlich und biss
etwas entschiedener in das Baguette, kaute eine Weile stumm und beendete das
kleine Frühstück mit einem schmalen Lächeln in seinem immer noch bleichen
Gesicht. „Vielen Dank für deine Pflege.“ Er legte seine Hand kurz auf ihre und
stand auf. „Es wird in den nächsten Tagen sicher kaum Gelegenheit geben, dass
wir uns sehen oder sprechen können.“ Er hängte sich sein Jackett über, strich
ihr über den Nacken und ging.
„Beide Taten scheinen mir mit absolutem Gleichmut
durchgeführt worden zu sein“, erläuterte Luc Vidal seine Gedanken vor den
Ermittlungsteams, die in der Zeit seit seiner Migräneattacke zusammengestellt
worden waren. „Geradezu beiläufig. Dabei aber schnell, präzise und effizient.
Beide Taten weisen zwar eine unterschiedliche Brutalität auf und es gibt auch
keine Übereinstimmung bei den Waffen, aber sie tragen für mein Empfinden die
gleiche Handschrift. Da hat keiner in Panik, im Affekt, aus Wut oder Hass
gehandelt. Ich bin davon überzeugt“, fuhr er fort, „dass wir es mit einem
routinierten Killer zu tun haben, der in beiden Fällen nicht von vornherein die
Absicht hatte, zu töten. Dann wäre er vermutlich vorbereitet gewesen, hätte
eine eher professionelle Waffe zur Verfügung gehabt und geplant getötet. Aber
beide Taten sehen zufällig aus. Als wäre die Entscheidung dazu erst ganz
spontan gefallen. Aber eben als eine Entscheidung, die ganz unaufgeregt,
blitzschnell und sehr konsequent durchgeführt worden ist.“
„Können wir eine Frau als Täterin ausschließen?“, fragte
einer der versammelten Kollegen.
„Bei dem Käsehändler mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“,
erläuterte Gauthier, während er in seinen Unterlagen blätterte. „Nach Angabe
der Gerichtsmedizin muss der Täter mindestens die Größe des Opfers haben und
über ziemlich viel Kraft verfügen. Der Draht hat sich sehr tief in das Fleisch
eingeschnitten. Und das trotz des Haarzopfes, der viel von dem Druck der
Schlinge abgefangen hat. Eine Frau müsste dazu schon über eine außergewöhnliche
Konstitution verfügen. Bei dem toten Mädchen sieht es natürlich anders aus, der
Schuss kam von unten und könnte problemlos von einer anderen Frau abgegeben
worden sein. Aber ich muss Luc zustimmen, auch in diesem Fall sieht es so aus,
als hätte der Täter oder vielleicht auch die Täterin sehr spontan improvisiert.
Das setzt Routine voraus und Gleichmut. In jedem Fall schien das Opfer völlig
überrascht gewesen zu sein. Es gibt keine Anzeichen für Widerstand, Flucht oder
Panik. Der postmortal nachzuweisende Adrenalinspiegel wies keine anormale
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