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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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konnte. Wenige
Minuten später bog er in den Abzweig zum Kloster ein und parkte schließlich auf
der Wiese vor der fensterlosen Längswand der Klosterkirche. Das Areal war noch
verwaist, der Boden unter dem feuchten Gras weich und schwammig.
    Die Gartenanlagen befanden sich in einem entsetzlichen
Zustand. Von den Bäumen hatten Sturm und Regen dürre Äste herabgeschlagen, die
sich wie erstarrte Schlangen vom Boden abhoben. Am Zugang zum Innenhof des
Klosters lehnte Paulines Mofa. Sie war also bereits dort, und, wie er
vermutete, ganz allein auf dem Areal. Die Nationalstraße war gut zwei Kilometer
entfernt. Um die Klosteranlage herum lagen weitläufige Gemüsefelder, Plantagen
und Wiesenflächen. Soweit er erkennen konnte, war weit und breit kein weiterer
Mensch unterwegs.
    Nach Westen lag ein einsamer Hof an dem kaum mehr
erkennbaren Pfad, der vor zweitausend Jahren von dem Hügel des Klosters über
die alte Brücke zur Via Domitia geführt hatte. Heute überquerte diese Brücke
einen unscheinbaren Bachlauf, der einmal ein reißender Fluss gewesen sein
musste. Schartige Spuren in den mächtigen Steinquadern deuteten auf gewaltige
Geröllbrocken hin, die der Fluss bei Hochwasser gegen die Pfeiler geschleudert
hatte.
    Die Brücke hatte in einem unglaublich guten Zustand die
Zeit überstanden. Ihre Breite reichte für ein schmales Gespann. Unmittelbar
unterhalb ihres Scheitelpunkts boten zwei dreieckige Ausbuchtungen eine kleine
Standfläche, auf der Wachen gestanden haben mochten.
    Je länger er vor der Kirchenmauer stand, desto intensiver
konnte er jetzt die Düfte von Blüten und Kräuterpflanzen wahrnehmen. Dies war
ein Ort, an dem Pauline ganz natürlich Zuflucht suchen musste. Die ungeheure
Vielfalt von heimischen Blütenpflanzen, Kräutern, Büschen und Bäumen konnten
ihr das Gefühl von Vertrautheit geben und sie in Sicherheit wiegen. Sie war es
aber nicht. Jetzt nicht mehr, nachdem bereits ihr entlegener Hof durchsucht und
Jean-Noël Baudouin getötet worden war. Die Gefahr für sie war unmittelbar
geworden. Er musste sie finden. Jetzt. Ohne eine weitere Sekunde Verzögerung.
Er nahm die Flinte aus dem Futteral, überprüfte das Schloss und füllte seine
Jackentaschen mit Munition. Er war bereit.
     
Trostlose Aussicht
    „Halt mal!“, bat Valerie.
    „Sofort?“ Anselm sah sie von der Seite an. Sie war blass,
ihre Lippen zitterten leicht.
    Sie nickte stumm.
    „Geht’s dir nicht gut?“ Er manövrierte den Rover aus der
Fahrspur, die durch die Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr tief in
den feuchten Boden gepresst worden war. Besonders der schwere Feuerwehrzug
hatte seine Spuren hinterlassen. Dort, wo am Morgen noch Pfützen von dem
Unwetter des Sonntags gezeugt hatten, waren tiefe Schlammpfuhle entstanden, die
kaum noch passierbar waren. Der Allradantrieb und die Geländetauglichkeit des
Rover bewährten sich in dieser Situation. Er hielt einige Meter abseits der
Piste zwischen dem lichten Bewuchs niedriger Krüppeleichen. Der Regen hatte an
dieser Stelle einen feinen grünen Flaum aus der Erde wachsen lassen.
    Valerie sah stumm zum Seitenfenster hinaus auf das karge
Land jenseits des Weges. Anselm griff behutsam nach ihrer Hand. Sie entzog sie
ihm, öffnete die Tür und stieg aus. „Ich muss einen Moment allein sein.“
    Er blieb hinter dem Lenkrad sitzen und sah ihr hinterher,
bis sie zwischen dem Gesträuch einer kleinen Mulde aus seinem Blickfeld
verschwand.
    Eines der Polizeifahrzeuge hatte Alains Hof verlassen und
näherte sich von hinten, verlangsamte die Fahrt auf Anselms Höhe, drei
Gesichter drehten sich zum Rover. Anselm winkte müde mit einer Hand, ein
Polizist hob ebenfalls seine Hand mit nach oben gerecktem Zeigefinger und
winkte kurz zurück, dann beschleunigte der Wagen und verschwand aus dem
Blickfeld. Anselm hatte in diesem Moment das Gefühl, allein auf der Welt zu
sein. Umgeben von trostloser Ödnis, die alle lebenden Wesen schon vor
Ewigkeiten verlassen hatten. Ob ein nuklearer Fallout, eine Seuche oder ein
erbarmungsloses Schlachten alles Leben erlöscht hatte, oder ob die Menschheit
mit allen Nützlingen des Planeten zu einer fernen Galaxie aufgebrochen und die
Erde dem Untergang überlassen hatte, er war allein zurückgeblieben. Sie hatten
ihn vergessen, übersehen oder als Vergeltung für eine Tat, deren er sich nicht
mehr erinnerte, zurückgelassen.
    Zehn Minuten nachdem Valerie den Wagen verlassen hatte,
stieg er aus und marschierte ihr hinterher. Es dauerte lange,

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