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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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einsamen Bergstraße nachhaltig unterstrich. Alain
liebte diese Strecke, die so ganz seinem Bedürfnis nach Abgeschiedenheit und
Ursprünglichkeit entsprach. Allerdings fand er in diesem Moment nicht den
Einklang mit der Natur, wie es sonst der Fall war. Die begrenzte Sicht zwang
ihn zu langsamer Fahrt, um Schlaglöcher und unvermittelt auftretende enge
Kurven rechtzeitig erkennen zu können, während er doch eigentlich in Eile war.
Er hatte vier Stunden für die Fahrt hin und zurück kalkuliert, um danach das
Vieh noch einmal zu versorgen, nach der Alten zu sehen und zu Valerie zu
fahren. Der Wattebausch des Morgendunstes machte diese Planung zunichte.
    Bis zum Kloster würde er noch gut dreißig Minuten
benötigen. Dann wäre es etwa halb neun und es würden noch keine Besucher dort
sein. Vermutlich wäre Pauline allein. In Gummistiefeln inmitten der matschigen
Beete die Schäden des Unwetters betrachtend, so wie er es später bei Valerie im
Garten ebenfalls machen würde. Pauline war Frühaufsteherin, die anderen
Mitarbeiter und freiwilligen Helfer würden deutlich später kommen. Gewiss nicht
vor neun. Es gab also noch ausreichend Zeit. Trotzdem wäre er gerne schneller
vorangekommen und um sieben schon dort gewesen. Es ließ sich aber nun nicht
ändern.
    Er spürte jetzt Hunger, hatte Durst; sein Rücken
schmerzte, der Riemen des Futterals, das er über die Jagdflinte gezogen hatte,
drückte an seinem Hals und der kondensierte Dunst auf dem Visier des Helms
nervte ihn, ebenso wie der Lärm der Enduro, der bei dieser langsamen Fahrweise
in dem Tunnel dicht stehender Bäume deutlich zu hören war.
    Ein kurzes Stück weiter erreichte er den Kamm der
Bergstrecke und die große Landstraße, die von Norden nach Süden als
Verbindungsachse zwischen den kleinen Städten der Region die einsame Bergwelt
durchquerte. Er konnte schneller fahren, der Dunst verschwand und das noch
fahle Sonnenlicht, das ihn zunehmend blendete, ließ ihn einen schwülheißen
Augusttag erwarten.
    Der erste Ort, den die große Landstraße in engen Winkeln
durchquerte, wirkte gemächlich. Kleinere Menschengruppen standen schwatzend auf
dem Kirchplatz und vor den Bäckereien, frische Baguettes unter dem Arm und
vermutlich über das erlebte Unwetter und dessen Folgen debattierend. Niemand
würde sich über den Motorradfahrer wundern, der zu dieser frühen Stunde mit
einer Flinte auf dem Rücken knatternd den Ort durchquerte. Der Präfekt hat die
Jagd zwar nur mittwochs und sonntags erlaubt, aber wer würde es hier einem
bescheidenen Jäger auf einem Motorrad verübeln, auch am Montag für ein Ragout
einige Hasen oder Fasanen zu erlegen?
    Der Marktplatz des Ortes wurde von Cafés gesäumt. Zu
dieser Uhrzeit standen nur wenige Gäste an den Theken, um ihren morgendlichen
Kaffee auf dem Weg zur Arbeit zu trinken. Alain hätte gerne angehalten, um sich
zu erfrischen. Er war aber so sehr zu einem Einzelgänger geworden, dass ihm
selbst vor einer Bestellung graute. Überdies fehlte ihm die Zeit.
    Er hatte gelernt, Hunger und Durst zu ertragen. Die
vielen Tage, an denen er die Ziegen zu weit entfernten Weideplätzen trieb,
waren eine gute Übung darin. Außerdem war ihm diese Genügsamkeit bereits als
Kind anerzogen und immer wieder in den Erzählungen seines Vaters als
überlebenswichtige Tugend dargestellt worden. Die Entbehrungen,
Versorgungsschwierigkeiten und Nöte während des Krieges, die sein Vater
geschildert hatte, waren für ihn zur Bewertungsgrundlage seiner Bedürfnisse
geworden.
    Manchmal, wenn er stundenlang allein auf einer entlegenen
Wiese bei den Ziegen war, erfuhr diese Bewertungsgrundlage allerdings deutliche
Irritationen. Dann kamen ihm die Gedanken an ein anderes Leben, in dem er nicht
für den Hof und die alte Frau verantwortlich war. Er dachte in solchen Momenten
auch an Frauen. An Pauline, die zwar älter war als er, die ihm aber von
frühester Kindheit an vertraut war. Und er dachte an Valerie, deren Anblick in
ihm wildeste Fantasien weckte, wenn er sie bei seiner Gartenarbeit halbnackt in
der Sonne liegen oder mit nassem Badeanzug aus dem Pool steigen sah, das Wasser
auf ihrer bronzefarbenen Haut glänzend und ihre Brüste, ihr flacher Bauch und
ihr Hintern sich unter dem enganliegenden Stoff abzeichnend. Diese Momente
wirkten nach, beunruhigten seinen Körper und ließen ihn ungewohnte Gedanken
spinnen.
     
    Er hatte die Nationalstraße erreicht und musste geraume
Zeit warten, ehe er die Enduro in den Verkehrsfluss einordnen

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