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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Burger
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bis er sie fand,
zusammengesunken auf einem Stein kauernd. Er erwartete, sie weinen zu sehen, blickte
dann aber in ein aller Regungen entleertes Gesicht. Sie sah durch ihn hindurch;
apathisch, reglos, in ihrem eigenen, inneren Kosmos gefangen.
    „Valerie …“
    Er ging in die Hocke, bis sein Gesicht auf Höhe des ihren
war und betrachtete sie lange, mit zunehmender Wehmut. „Valerie …“ Sie schien
ihn nicht zu hören, seine Gegenwart nicht zu bemerken, lediglich ihre
körperliche Hülle saß da auf dem Stein, die irgendwann zu Staub zerfallen und
mit den eisigen Winterwinden über das Plateau zerstreut würde.
    Anselms Knie, die überdehnten Oberschenkelmuskeln, die
Fersen und die Fußspitzen, auf denen sein ganzes Körpergewicht ruhte, begannen
zu schmerzen. Sein Kreislauf wurde unregelmäßiger. Valerie blickte weiter aus
entseelten Augen, die noch vor wenigen Stunden so schön, so leuchtend und so
voller Lebensgier gewesen waren, in eine imaginäre Ferne, jenseits der
Wirklichkeit. „Valerie …“
    „Es ist alles meine Schuld“, flüsterte sie schließlich.
Ihre Augen blieben seltsam reglos. Dann war sie wieder lange Zeit still. Anselm
war vor ihr auf die Knie gesunken, den Schmerzen in seinen Beinen nachgebend,
und sah sie unverwandt an. Es dauerte noch einmal eine kleine Ewigkeit, bis sie
langsam, fast unmerklich den Kopf zu ihm neigte und ihn ansah. „Ich sollte
jetzt tot sein. Nicht die Alte, nicht Baudouin, nicht das Mädchen.“
    „Du spinnst!“ Anselm richtete den Oberkörper auf, blieb
aber auf den Knien und ergriff vorsichtig ihr Kinn, hob ihren Kopf wieder ein
wenig an und beugte sich zu ihr vor, bis ihr Gesicht dicht vor seinem war. Er
spürte den schwachen Hauch ihres Atems. „Hier mordet ein Irrer. Vielleicht sind
es auch mehrere Irre. Dafür gibt es keine rationale Erklärung und damit auch
keine rational zu begründende Annahme, dass, wenn du tot wärest, andere es
nicht wären. Die tote Alte ergibt keinen Sinn, der tote Käsehändler auch nicht.
Es gab keinen Anlass dafür, sie zu töten. Es war Willkür. Hör auf, dich dafür
selbst zerstören zu wollen. Lass uns gemeinsam die Schuldigen suchen und
weitere Opfer verhindern.“
    In der Unschärfe der Nähe bemerkte er, wie sich ihre
schwarzen Pupillen bewegten und sie ihn erstmals, seit er hier neben ihr
verharrte, bewusst ansah.
    „Du weißt nichts!“ Valerie blickte ihn lange an und er
fühlte eine Woge von Traurigkeit von ihr ausgehen. „Du weißt gar nichts.“ Sie
drückte ihren Handrücken sanft gegen seine Wange. „Mein armer Detektiv. Hätte
ich dich doch bloß nicht mit in diese Sache hineingezogen.“ Unvermittelt stand
sie auf und reichte ihm die Hand. „Komm, wir müssen das Böse suchen und es zur
Strecke bringen!“
    Anselm ließ sich von ihr beim Aufstehen helfen. Seine
Beine waren fast taub. Sie gingen schweigend hintereinander her. Erst im Rover
fragte er sie: „Was weiß ich nicht? Du solltest es mir sagen, das hier ist kein
Spiel mehr!“
    Valerie schüttelte leicht den Kopf. Wieder hüllte sie
ihre Traurigkeit ein. Sie sah unverwandt aus der Frontscheibe auf die Ebene.
„Ed hatte sich in den letzten ein, anderthalb Jahren sehr verändert.“
    „Wie hatte er sich verändert?“
    Sie zuckte mit den Schultern, signalisierte Ratlosigkeit,
blieb eine Weile stumm und fuhr dann mit den Fingerspitzen über ihre Stirn. „Er
hat unser gemeinsames Leben verlassen. Hat eine … eine Art Gedankenlosigkeit
mir gegenüber entwickelt.“
    „Aufgrund der Mädchen, seiner Affären?“
    Sie schüttelte energisch den Kopf. „Nein! Die Mädchen
waren Körper. Sex, Geilheit, Lust. Er konnte sich mit denen nie richtig
unterhalten. Es gab die üblichen Aufreißergespräche, das übliche
Imponiergehabe, Sex, danach Small Talk und nach wenigen Treffen war sein Interesse
dann meist erloschen. Da fehlten einfach immer einige Jahrzehnte
Lebenserfahrung und Wissensansammlung, um sie für ihn dauerhaft interessant zu
machen. Die wussten manchmal nicht, wer Brian Ferry ist und wer William
Faulkner war. Nein, da war etwas anderes.“
    „Was?“
    „Ich weiß es nicht. Er fing an, sein bisheriges Leben zu
hinterfragen, wollte etwas Neues machen, einen neuen Anfang starten. Er hatte
sein Verlegersein satt. Es kam immer mal wieder eine Bemerkung über
Naturheilmittel, die Kraft der Pflanzen, das Potenzial der Natur. Das geisterte
ihm im Kopf herum. Irgendwann kam dann diese Idee einer Stiftung, in die er
sein Vermögen einbringen wollte.

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