Grün war die Hoffnung
zwei Anklagepunkte«, sagte er, und in seiner Stimme schwang dermaßen viel Triumph mit, als würde er am Unabhängigkeitstag die Sieger beim Sackhüpfen bekanntgeben, »Fluchtversuch und Anstiftung einer Minderjährigen zu strafbaren Handlungen.«
Acht Monate vorher lebte Tierwater ein zielloses Leben der stillen Verzweiflung, in dem er sozusagen am Lenkrad schlief und zusah, wie das Imperium seines Vaters zu Staub zerfiel, so wie all die anderen geriatrischen Reiche zuvor – Ihr Mächtigen: blickt auf mein Werk – seid aller Hoffnung bloß! Es war Dezember, fahl, der Wind schneidend. Einmal fror es, dann war alles Matsch, und am nächsten Tag war der Matsch überfroren. Jämmerliche Pappweihnachtsmänner und ausgeschnittene Menora klebten an den dreckigen Scheiben der Läden im Einkaufszentrum – bei denen jedenfalls, die nicht dunkel waren, weil die Mieter fehlten –, und in den betagten weihnachtlichen Lichterketten an den verbogenen, rostigen Nägeln, die sein Vater vor zwanzig Jahren in die Gipsfassade des Hauses gehämmert hatte, war die Hälfte der Glühbirnen kaputt. Sierra war zwölf, unerträglich mutterlos, unangemessen gekleidet (wie Jodie Foster in Taxi Driver ), fernsehsüchtig, Vegetarierin und ein Fan von Gruftimusik. Ihre Miene war wie eine fallende Axt, die zweimal täglich auf ihn niedersauste: morgens, wenn er sie im Jeep Laredo zur Schule fuhr, und abends, wenn er nach der Arbeit heimkam und sein Haus mit ihren satanischen Freunden überschwemmt war.
Tierwater seinerseits versuchte sein Bestes, büffelte mit ihr über Geographiebüchern und dem Goldenen Schatzkästlein der Literatur , ging einmal pro Woche im Sinne der Vater-Tochter-Bindung mit ihr zum mongolischen Barbecue ins Einkaufszentrum, hielt sich mit Kommentaren zurück, wenn sie mit einem Nasenring nach Hause kam aus der benachbarten brandneuen klimatisierten Siebenundsechzig-Geschäfte-Shopping-Galerie, die ihm bis ins Mark weh tat, das Herz herausriß, Plattfüße verursachte und mit seiner Verdauung Schlitten fuhr. Sein Liebesleben war nicht existent. Aus einer sechs Monate währenden Affäre mit einer hageren, knausrigen Frau namens Sherry, die ihr strubbeliges Haar zu einer weißblonden Korona aufgedonnert hatte und damit ständig oben anstieß, wenn sie durch eine Tür ging, hatte er sich vor einem Monat so taktvoll wie möglich verabschiedet (zu seiner Sekretärin: »Sagen Sie ihr, es war ein Kletterunfall und man hätte meinen Leichnam nie gefunden«). Seitdem war er mit niemandem mehr ausgegangen. Keine Frau hatte ihn seitdem auch nur angesehen – nicht mal bei Capelli’s, der Bar im Einkaufszentrum, so ziemlich dem einzigen Laden dort, wo ein bißchen Betrieb herrschte. Alleinerziehende Mütter scharten sich um wacklige Tischchen und hingen an den Schultern von alleinerziehenden Vätern, als fehlten ihnen nur noch Steigeisen und Kletterseil, Kosmetikberaterinnen flennten zu den dröhnenden Hits der Sechziger, Aerobiclehrerinnen reckten ihre strammen Hinterteile rund um den Billardtisch, aber keine von ihnen hatte Zeit für Tierwater. Er war depressiv, und er trug seine Depression wie einen Lampenschirm auf dem Kopf.
Dann aber griff das Schicksal ein. (»Wir werden um und um gewirbelt in dieser Welt wie das Gangspill dort, und das Schicksal ist die Spake.« Ich weiß zwar nicht genau, was eine Spake ist, aber das Zitat gefällt mir, und Melville hat recht, vor allem wenn eine Spake etwas ist, daß man jemandem in den Hinterkopf rammen kann.) Ohne viel darüber nachzudenken, hatte Tierwater irgendwann einen Scheck an die Naturschützer vom Sierra Club geschickt, Mitgliedschaft für einJahr. Bevor seine Eltern starben – sie standen gerade an der 44sten/Ecke Lexington im Stau, als ein Baukran beim Hochziehen mehrerer Stahlträger vor der Schwerkraft kapitulierte –, war er einem Abschluß in Wildbiologie hinterhergewesen, nachdem er in seinen drogenumnebelten Tagen das Studium zweimal abgebrochen hatte, und so war die Natur irgendwie schon immer ein Blinklicht am Horizont seines Bewußtseins gewesen. Diese kleine Geste, die Geldzuwendung für gute Zwecke, war eine Art Heftpflaster, das er über den riesigen klaffenden Krater in seiner Seele klebte, und er wußte das, aber so war es nun einmal. Er war jetzt Mitglied im Sierra Club. Und als Mitglied wurde er auf einen Postverteiler gesetzt, der ihn zum Bezug wahrer Kordilleren von Reklamesendungen berechtigte – von wegen Papiersparen –, so wurde er, unter vielem
Weitere Kostenlose Bücher