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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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halbwegs vollständiges Gebiß, und er konnte so ziemlich alles hochheben und sich über die Schulter knallen und damit bis in die Hölle und zurück marschieren, wenn ihn nur die richtige Frau darum bat. Und er war ein geduldiger, unermüdlicher und zärtlicher Liebhaber – eine Kombination von Adjektiven mit einem wuchtigen Substantiv, die er sich auf ein T-Shirt hätte drucken lassen sollen. Beeinträchtigt hätte es seine Chancen sicher nicht.
    Ihre Hand lag in seiner. Er spürte rauhe Stellen, Hornhaut und Schwielen, die von Mühsal und Leid rührten, aber auch etwas Aufrichtiges – kein dummes Herumgetue, sagte ihr Händedruck. Auch ihre Lippen bewegten sich. »Andrea«, sagte sie als Antwort auf seine Frage, und ihre Stimme überraschte ihn, so hoch und piepsig, dabei hatte er ein Knurren erwartet, ein tiefes, kehliges Grollen – Laß uns auf allen vieren um das Fleisch kämpfen –, »Andrea Cotton.«
    In Teos Wagen war es eng auf dem Rückweg nach Los Angeles, aber nicht so eng wie auf der Hinfahrt. Tierwater saß vorn, neben Teo, weil er so lange Beine hatte, und Andrea streckte sich auf dem Rücksitz aus, weil ihre auch so lang waren. An Sierra erinnerte eine rosa Schultertasche mit dem Grinsegesicht einer Disneyfigur auf der vorderen Klappe, ein Überbleibsel ihrer Kindheit. Die Tasche lag hinter Tierwaters Sitz auf dem Boden und enthielt abgeschnittene Jeans, ein Stretchoberteil, Socken, Unterwäsche, Kosmetika, sieben selbstaufgenommene Kassetten mit Gruftimusik in gesprungenen Plastikhüllen und für den Notfall ein Vampirroman von der Größe eines Taschenwörterbuchs. Obwohl sie seit zwei Stunden unterwegs waren – inzwischen längst wieder in Kalifornien, Mount Shasta erschien und verschwand, erst in dem einen Fenster, dann im anderen, wie ein Zaubertrick –, hatte Tierwater noch kein Wort geredet. Er starrte nur geradeaus, und seine Miene war derart angespannt, daß ihm die Zähne weh taten.
    Andrea und Teo unterhielten sich über ihn hinweg, die knappen Vokale von Teos überschwenglicher Surferstimme mischten sich mit dem ländlichen Genöle ihres Montana-Akzents, bla-bla, und ihr einziges Thema war Taktik. Nicht Sierra. Nicht die Frage, wie man sie aus den Klauen dieses Richters – Richter Duermer, fett wie ein brunftiger Seelöwe und doppelt so angriffslustig – und den Puritanern vom Kinderschutzprogramm mit ihren Nußknackergesichtern befreien könnte. Denn die Sache lag so: Sierras Anwalt, vom Staat Oregon zugewiesen, hatte im Namen des Volkes als sozialpädagogische Maßnahme für die Minderjährige beantragt, Tierwater – einem Vater, der sein Kind gefährdete und zu Gesetzesbruch anstiftete – das Sorgerecht abzusprechen, und nun saß Sierra im Jugendgefängnis ein, zusammen mit lauter Verbrechern, während er nach Kalifornien zurückfuhr. Die Kaution betrug 50000 Dollar, und es gab das Angebot der Staatsanwaltschaft für einen Kuhhandel, den Fred eingefädelt hatte – »Sie lassen alle anderen Punkte fallen, wenn du dich des tätlichen Angriffs auf einen Polizisten schuldig bekennst« –, nur würde er dann drei Monate in den Knast wandern. Und was würde seine Tochter dann tun?
    »Ich finde, wir sollten ihnen richtig an die Gurgel gehen – wir bauen Ty als ›Vater ist der Beste‹ auf, und die Siskiyou Lumber Company und das Sheriff’s Department von Josephine County als eine Kreuzung zwischen dem KGB und Ayatollah Khomeini.«
    Die abgefahrenen Reifen sangen auf dem Asphalt, andere Autos überholten sie, fielen zurück, das Radio spuckte statisches Knistern. Tierwater war wie gelähmt. Er war ein zerbrechliches Objekt in einem gepolsterten Behälter. Er hatte vergessen, wie man zwinkert. Und wie man schluckt. Andreas Stimme drang über tausend Kilometer zu ihm: »Sicher, na klar, Das hier ist so gut wie fünfzig Demos. Wenn wir es nur hinkriegen, daß es irgendwie in die Zeitungen kommt – und du hast voll recht, Teo, das trifft’s genau: ich meine, einen Vater von seiner Tochter zu trennen, das ist ja, als wirft man eine Atombombe auf ein Pfadfinderinnenpicknick...«
    Teo ließ seine Muskeln am Lenkrad spielen und kaute zu einem inneren Rhythmus Kaugummi; sein linker Fußknöchel steckte in einem Mullverband. »Schon, aber bis jetzt hab ich nur die Meldung in diesem Mickymaus-Blättchen da gelesen – daß Ty wie ein Berserker auf einen Gesetzeshüter losgegangen und aus dem Krankenhaus geflohen ist und so. All diese Scheiße , meine ich. Denn das ist es doch. Im Grunde

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