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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sie mir bloß nicht, das ist auch gegen das Gesetz –, aber nein, Sheets döste weiter. Im Hemd verließ Tierwater das Bad wieder auf leisen Sohlen, huschte an dem unscheinbaren Haufen von gebügeltem und gestärktem Stoff, der den Deputy ausmachte, vorbei und hinaus in den Korridor. Er war sich vage bewußt, daß er damit der von Sheets zitierten Liste ein weiteres Vergehen hinzufügte, aber von Leuten wie Sheriff Bob Hicks und Boehringer und ihresgleichen waren die großen Wälder im Osten und im Mittelwesten dezimiert worden, auch die Redwoods und die Douglastannen hier an der Westküste wurden rasant weniger – es war jedenfalls keine Zeit für Unentschlossenheit.
    Der Korridor lag verlassen da. Kadaverlicht, ewige Fluoreszenz – gesund sah hier niemand aus. Seine Beobachtungsgabe sagte ihm, daß er sich im ersten Stock befand: der Ausblick auf die mittleren Äste der Bäume dicht vor den Fenstern am anderen Ende des Ganges ließ das vermuten, und er wußte – aus Filmen in erster Linie oder vielleicht sogar ausschließlich –, daß der Lift ein Fehler wäre. Schwestern, Pfleger, Bahren mit halb toten und halb lebendigen Patienten, besorgte Freunde und Verwandte, Assistenzärzte, Schwesternschülerinnen – sie alle würden sich in diesem Fahrstuhl drängen und laut ihre Verwunderung äußern über seine nackten Füße und Beine und das Wegwerfhemd aus Papier, das seine gesamte Rückfront entblößte. Und übrigens: was war eigentlich aus den Windeln geworden? Der Gedanke ließ ihn schaudern. Er stellte sich vor, wie dieser Klotz von Schwester ihm das Ding heruntergeschnitten hatte, die Nase vor Ekel gerümpft, dann aber wechselte er das Programm und ging den Korridor entlang, auf der Suche nach dem Treppenhaus.
    Zweimal mußte er in Krankenzimmer ausweichen – Unterweltlicht, Schläuche und Kabel, zwinkernde elektrische Augen von Maschinen, die alle Schwankungen und Ausscheidungen registrierten –, um nicht von umherstreifenden Schwestern entdeckt zu werden. Niemand schien ihn zu bemerken. Die Patienten hatten genug mit ihren Schläuchen und Bildschirmen zu tun und damit, einfach nur zu atmen, eine Batterie von müden alten Nasenzinken und Kinnen, die sich hier verbissen zu Tode erholten – jedenfalls dachte er das, während er sich hinter der Tür vor den Schwestern versteckte, die den Gang entlangeilten. Dann zog er die Tür mit der Aufschrift NOTAUSGANG auf, ein kalter Lufthauch umspielte seine Genitalien, und er stürzte ins Treppenhaus.
    Dabei schreckte er eine verdrießlich dreinblickende Frau auf, die dort heimlich rauchte, doch sie senkte den Blick und sagte kein Wort, und schon vibrierten die Stufen unter seinen Füßen. Im Erdgeschoß schob er die Tür einen Spaltbreit auf – es war noch früh, sehr früh am Tag, trotzdem war bereits eine Menge los – und wartete auf die goldene Gelegenheit, wenn alle gleichzeitig durch verschiedene Türen verschwanden. Die Freiheit lockte durch die Glasscheibe des Haupteingangs, gleich hinter dem Geschenkeladen und der Anmeldung. Wie weit war das – fünfzehn Meter? Zwanzig? Jetzt oder nie. Er hielt sich das Hemd im Rücken zusammen und stürmte auf die Tür zu, taub für die entsetzten Schreie der beiden Frauen an der Anmeldung (die aussahen wie junge Kindergärtnerinnen mit Hackfleischgesichtern und Plastikfrisuren und ihm Sir! Sir! Kann ich Ihnen helfen, Sir? nachriefen), die klare, frische, noch unverfälschte Oregoner Luft in der Nase, und hinter dem leeren Parkplatz kam eine endlose Fläche voll Unkraut und Gestrüpp in Sicht.
    Wenn das hier ein Film wäre, dachte er – und bis zu diesem Moment war alles, was er tat, von dem diktiert gewesen, was er auf Kinoleinwänden mehrfach gesehen hatte –, würde er jetzt in einen Sportwagen neueren Baujahrs steigen, mit einem Schraubenzieher die Lenkradsperre aufbrechen, die Zündung kurzschließen und in einer grandiosen Wolke aus Auspuffqualm und spritzendem Kies verduften. Oder die Heldin, die starke Ähnlichkeit mit Andrea hätte, mit tiefem Ausschnitt und einem Wahnsinns-BH, käme genau in diesem Moment am Randstein vorgefahren, worauf er nur sagen würde: Los, hauen wir ab! Oder: Rock and roll, Baby! Sagten sie das nicht in allen Situationen, die heroisches Handeln erforderten? Aber das hier war kein Film, und ihm fehlte das Drehbuch. Letztlich mußte er damit vorliebnehmen, auf allen vieren durch die Kletten und Brennesseln zu robben, in beständiger Angst vor unvermeidlichem Sirenengeheul und

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