Grün war die Hoffnung
sind. Auch das Saubermachen können wir vergessen, zu gefährlich, vor allem bei Lily, Petunia und den Löwen – und man würde sich wundern, wie griesgrämig und boshaft selbst ein Warzenschwein werden kann. Da öffnet man die Tür zur Bowlingbahn und hört zunächst gar nichts, weder Schnaufer noch Hechler, aber einen halben Herzschlag später bohren sich einem beinahe mehrere Stoßzahnpaare wütend in die Gonaden. Irgendwann in der Trockenzeit, falls so etwas je wiederkehrt, wird Mac die Teppiche und die angepißte Holzverkleidung herausreißen lassen und alles verbrennen müssen, das war’s dann. Und danach können wir wieder von vorn anfangen, mit neuen Gehegen und neuen Tieren – oder wenigstens neuem Zuchtmaterial.
Aber zurück zu Weihnachten, denn Weihnachten wird hier gefeiert – Überschwemmung, Mucosa und aufgebrachte Vierbeiner hin oder her. Al & Al, die keinen erkennbaren Nutzen oder Auftrag mehr haben, da kilometerweit niemand da ist, vor dem sie Mac beschützen könnten, sind vom Dekorationsausschuß kooptiert worden (gemeinsamer Vorsitz Mac und Andrea), um an den Wänden Lichterketten und Engel aus Alufolie zu befestigen. Es erscheint mir alles – ich weiß nicht, irgendwie verkümmert . Und traurig. Die sinnentleerte Zeremonie eines vergessenen Stammes. Weihnachten bedeutet mir gar nichts, außer vielleicht im Negativen: das Fest der Dinge und der Völlerei, zündet die Kerzen an und schändet den Planeten gleich noch mal. Ende des letzten Jahrhunderts kamen sogar die Japaner auf den Trichter, die allerdings interpretierten die Festtage als genau das, was sie waren – Shopping von früh bis spät und sonst nichts.
Ich weiß, ich weiß. Als ich ein Kind war, feierten wir Weihnachten, wegen meiner Mutter, und da enthielt dieses Wort einen Zauber – es bot Erlösung. Hoffnung. Und mehr als das: es bot eine Begründung, für uns und die Tiere und die Pflanzen und alles andere. Das ist lange her. Lange vorbei. Und obwohl ich absolut praktisch veranlagt und unsentimental bin, so bar jeder Illusion wie ein Gefangener der Mohawks, als ich den Korridor entlanggehe und zum erstenmal die Engel aus Silberfolie von der Decke baumeln sehe mit ihren zerknitterten glitzernden Flügeln, da kann ich mich kaum beherrschen, meine Atemmaske nicht vollzuflennen. Tolles Geständnis, was?
Tatsächlich stehe ich im Erdgeschoß in der Halle, bin total gerührt, es ist zehn Uhr morgens, und wir haben noch acht Einkaufstage bis Weihnachten, als Chuy hinter einer lebensgroßen Elvis-Statue aus Marmor auftaucht und auf seine flinke, zielbewußte Art über den persischen Läufer herbeiwieselt. Seiner Körpersprache – gesenkter Kopf, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, die wie eine Gartenschere auf den Teppich einstampfenden Füße – entnehme ich, daß er zu mir will, und zwar, weil irgend etwas völlig unerwartet und völlig hoffnungslos schiefgegangen ist. »Mr. Ty«, ruft er, und seine Augen laufen ihm schon wieder davon, »sage ich das nicht so gerne, aber la puerta del cuarto de regalos – Tür vom Geschenkeverpackungszimmer? – ist offen. Weit offen.«
Was geht mir da durch den Kopf? Lily natürlich. Fast zwei Meter lang von der Schnauze zum Schwanz, gut siebzig Kilo schwer, der große graue Kopf geformt wie ein Amboß, schwarze Streifen an den Beinen. Die Massigkeit, das Fell, das abgesenkte Hinterteil, die ungelenk wirkenden Beine – aber man lasse sich nicht vom Schein trügen. Dieses Tier erreicht in kürzester Zeit eine Geschwindigkeit von knapp fünfzig Stundenkilometer, und es läuft die ganze Nacht hindurch, eine von der Evolution entworfene Freßmaschine, schlicht und einfach. Keine Moral, keine Ethik. Sehen, töten, fressen – so lautet das Motto der Gattung Hyaenidae . Und nun steht die Tür offen, weit offen, und das erhoffte, erflehte Wunder mit der Chance von eins zu tausend – daß sie schnarchend und vollgefressen inmitten eines Haufens abgenagter Knochen und Geschenkpapier noch im Zimmer liegt – ist nicht unbedingt, womit ich rechne. Dafür ist sie zu schlau. Zu hinterhältig. Zu wild.
Mein erster Impuls besteht darin, auf meinen fünfundsiebzig Jahre alten Beinen die Treppe hinaufzusausen und selbst nachzusehen, vielleicht sogar die große Mahagonitür zuzuknallen und den Schlüssel umzudrehen, aber ich unterdrücke ihn. So würde ein ungestümer Vierzigjähriger handeln – vielleicht sogar ein eigensinniger Mann von fünfzig oder sechzig. Klar doch. Und sich dabei den Kopf
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