Grün war die Hoffnung
Flüchtling, aber sein Temperament – jene unbeherrschbare Zornesflut, die blitzkriegartig in den ungünstigsten Momenten in ihm aufstieg – war so feurig wie eh und je. Er sagte zu Johnny Taradash, er könne ihn mal am Arsch lecken, worauf Johnny Taradash einen matten Seufzer ausstieß und damit anfing, das Zimmer langsam und systematisch zu zerlegen: er riß alle Einbände von den Büchern ab, zerknüllte die Zeitschriften, solche Sachen, und er ließ Tierwater nach Atem ringend auf dem Betonboden zurück. Am nächsten Tag schmuggelte Tierwater einen Schraubenzieher und einen Ringschlüssel aus der Druckerei in sein Zimmer und brachte den größeren Teil des Nachmittags damit zu, ein stumpfgraues abgeschabtes Metallbein vom Schreibtisch abzumontieren. An jenem Abend wartete er an der Tür, während Bill Driscoll sich zur Wand umdrehte und im Schlaf stöhnte. Das Dunkel hinter den Fenstern verfestigte sich, und irgendwann sah er den großen Kopf von Johnny Taradash den Gang aus dem Fernsehzimmer entlangwackeln, dicht hinter dem glatten, wohlfrisierten Kopf seines Bosses. Er wartete. Hielt den Atem an. Dann trat er vor und schlug Johnny Taradash mitten übers Gesicht, knallte voll drauf, so fest er konnte. Danach hatte er seinen Respekt.
Er war fast im Besuchertrakt angekommen, da paßte ihn Radovan Divac, der serbische Schachfanatiker, aus dem Nirgendwoher ab und wollte mit ihm spielen. Divac war ein schlaksiger, kummervoller Typ mit einer Nase wie ein französisches Baguette und zwei nebensächlichen Augen, der eine Sparkasse mit einer Wasserpistole auszurauben versucht hatte. »Los, Ty«, bettelte er, »ich geb dir die Dame vor, und – den Königsläufer. Fünf Mäuse, wenn du mich schlägst.«
»Tut mir leid, Rado«, sagte er und schob sich an ihm vorbei. »Ich hab Besuch.«
Der Serbe schwenkte eine Faust voller schwarzer Schachfiguren. »Und den Turm – he, ich geb dir beide Türme. Fünf Dollar, komm schon!«
Tierwater nannte dem Wärter an der Tür zum Besuchertrakt seinen Namen und betrat dann den rechtwinkligen niedrigen Raum mit den langgestreckten Leuchtstoffröhren, dem Geruch nach überschäumenden Drüsen und dem ständig in der Luft hängenden Staub. Ein in Abschnitte geteilter Tisch halbierte das Zimmer: auf der einen Seite saßen geschminkte Frauen in schicken Kleidern und Stöckelschuhen, hie und da begleitet von einem sich windenden Säugling oder einem herausgeputzten Kleinkind; auf der anderen saßen die Häftlinge. Tierwater nahm auf einem der zwei leeren Stühle Platz – ganz hinten, gleich neben einem Wärter namens Timson, der an die hundertvierzig Kilo wiegen mußte. Sie waren wie Schiedsrichter, die Männer vom Wachpersonal, Titanen mit reglosen Mienen, die jeden Ausball für gültig und jeden Treffer für ungültig erklärten, gleichermaßen Feinde des Spiels und Feinde der Spieler. Tierwater hatte gelernt, sich nicht allzuviel von ihnen zu erwarten. Er hörte einem der Neuzugänge zu, der gerade seiner Frau oder Freundin erzählte, wie gründlich er es ihr besorgen würde, wenn er in sechs Monaten wieder rauskäme – bis in die Zwischenräume deiner Zehen, Baby –, als Andrea und Sierra eintraten.
Andrea trug hohe Absätze und ein enges grünes Kleid mit Spaghettiträgern, das ihre Arme und Schultern zur Geltung brachte. Sierra, in Schlabberjeans, Basketballschuhen und einem Sweatshirt mit dem Aufdruck ihrer Highschool, lehnte gleich neben der Tür an der Wand, während einer der Wärter – noch so ein Ungeheuer aus Doughnuts und Kentucky Fried Chicken – Andrea auf Schmuggelware prüfte. Mit dem kleinen Metalldetektor die Vorderfront hinauf und hinunter, beide Seiten, dann herumdrehen, der Zauberstab folgte jeder Kurve, das Haar fiel ihr als schimmernder, feiner weißblonder Vorhang vors Gesicht, und jeder Häftling beobachtete sie mit diesem ausgehungerten Gefängnisblick in den Augen, sogar die, vor denen ihre schwangeren sechzehnjährigen Freundinnen aufragten wie Grabsteine. Dann durchquerte Andrea den Raum, alles geriet in Bewegung, und Tierwater erhob sich, um die Hände flach auf den Tisch zu stemmen und sich für den Kuß in sie hineinzulehnen.
Der Kuß war die große Nummer jeder Begegnung im Besuchertrakt, und jeder Häftling kostete ihn voll aus, träumte von anderen Orten und anderen Zeiten, genoß den weiblichen Duft und Geschmack so lange wie nur menschenmöglich. Tierwater war da nicht anders. Dreihundertvierunddreißig Tage ohne Sex. So zahlte man seine
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