Grün war die Hoffnung
kann, als es auszuspucken. »Nichts«, sage ich. »Überhaupt nichts.«
EPILOG
Sierra Nevada, Juni/Juli 2026
Es gibt eine Redewendung, die mir immer gefallen hat: Nicht ohne Beklommenheit , so wie in »Nicht ohne Beklommenheit fahren sie um die Kurve in das, was einmal die Pine Street gewesen ist, und werfen den ersten Blick auf die eingefallene, abgerissene und ausgeplünderte Hütte, in der sie den Rest ihres Jungaltenlebens werden fristen müssen«. Diese Wendung werde ich hier nicht gebrauchen, wenn sie mir auch auf der Zunge liegt, als das sonnenversengte Dach von Ratchiss’ Behausung in Sicht kommt, teilweise verdeckt durch etwas, was wie die Arbeit von einem Dutzend Vierzig-Tonnen-Bibern aussieht. So viele Bäume sind hier umgestürzt, daß wir die Hütte zuerst gar nicht erreichen, obwohl in irgendeiner fernen Vergangenheit jemand mit einer Kettensäge dagewesen ist und wenigstens eine primitive Einbahnschneise in die Zufahrt gebahnt hat –ich kann mir diesen Jemand gut vorstellen: ein vitaler jungalter Kerl wie ich, mit Bart vielleicht, Holzfällerhemd und roten Holzfällerhosenträgern, die seine vor Dreck starrenden Jeans halten, und ich sehe auch, wie dieser Jemand verzweifelt aufgibt, während ein Sturm den anderen jagt und fünfzig Meter hohe Bäume umwirft wie hohles Schilfrohr.
Ich stelle den Motor ab, halte Petunia fest an der Leine und trete hinaus in die grelle Spätnachmittagssonne. Die Luft hier ist nicht sonderlich stickig, auch nicht sonderlich heiß, und sie enthält einen Duft, der mich zurückträgt, etwas Undefinierbares und Karges, der Geruch nach Waldboden, Espenschößlingen, die ersten erblühenden Wildblumen – oder Wespen, ist es das? Schwärmende Faltenwespen über einem toten Wesen, das unter dem Gewirr der umgestürzten Bäume begraben liegt. Na schön. Wenigstens Petunia bereitet kein Problem – sie ist schlaff wie ein nasses Tuch, blinzelt aus ihren Canidenaugen und, nein, Petunia, hier ist weder Patagonien noch die Pampa –, während Andrea, gut ausgeschlafen und aufgedreht vom Sake, die Beifahrertür mit mächtigem Schwung zuknallt, das Kinn vorgereckt und ein Brennen im Blick, das ich nur zu gut kenne. Direkt vor uns, zwei Meter vor der Stoßstange des Olfputt, liegt ein Baumstamm von derartigem Umfang, daß sie sich auf die Zehenspitzen stellen muß, um darüberzublicken. »Sieht gar nicht übel aus«, sagt sie. »Vergleichsweise.«
»Vergleichen womit?« kontere ich zur Begleitung von Petunias Urin, der auf die Straße prasselt. »Mit dem Ende der Welt? Dem Zusammenbruch der Biosphäre? Dem Tod der Wälder und aller Lebewesen darin?«
»Ein Baum liegt quer über dem Dach, soweit ich das von hier sehe – scheint so, als ob der Kamin hin ist, ein Stück jedenfalls. Und die Fenster. Aber es sieht so aus – ja, irgend jemand war hier und hat sie mit Brettern verrammelt, die meisten jedenfalls.« Sie dreht sich zu mir um, begeistert von diesem erneuten Triumph ihres chirurgisch optimierten Sehvermögens, und ich erwäge kurz, sie von nun an »Adlerauge« zu nennen. »Glaubst du...«
»Mag«, sage ich. »Oder Mug.«
Das ist allerdings eine Überlegung wert – womöglich sitzt Mag da drin, schwelgt in Erinnerungen an durchtrottete Savannen und mit dem Speer erlegte Oryxantilopen und ist nicht im mindesten damit einverstanden, daß wir in seinen Lebensraum eindringen. Aber nein, Mag kann nicht hiersein – der sitzt in irgendeinem Apartment, hockt vor der Glotze in Polohemd und Jeans, wie alle anderen. Wie ich die Hütte aus zusammengekniffenen Augen konzentriert betrachte, wirkt sie unbewohnt, außer vielleicht von Waldameisen und Eidechsen. Aber es gibt nur einen Weg, es herauszufinden, und Andrea, wie immer einen Schritt voraus, hat bereits die Axt in der Hand.
Es dauert eine halbe Stunde, aber es gelingt uns, eine Reihe rumpfdicker Äste von dem umgestürzten Baum vor uns zu entfernen. Nachdem ich Petunia an der Stoßstange des Olfputt angebunden habe, helfe ich Andrea über den nun kahlen Stamm des toten Baumes, und dann hilft sie mir. Als ich auf der anderen Seite bin, mit beiden Beinen auf dem Boden, keine fünfzig Meter von der Hütte entfernt, ist mir, als hätte ich eine neue Welt betreten. Oder vielmehr eine alte Welt, eine Welt, die nur noch im wirren Neuronengeknister meines armen rasselnden Gehirns existiert. Da ist die vordere Veranda, noch immer intakt, die Stufen, auf denen Sierra saß, wenn wir Schach oder Monopoly spielten, die Tür, die Ratchiss
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