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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gelbliche Milch spritzte in den Eimer. Aber dann wurde die zweite Ziege unruhig – entweder war es Amanda oder Dewlap, sie verwechselte die beiden immer noch, obwohl sie jetzt schon den wievielten Morgen hintereinander an ihren Zitzen zerrte und drückte? – und latschte mitten hinein, so daß die Milch, die für Joghurt bestimmt war, ganz zu schweigen von Cornflakes und Kaffee, in den Dreck sickerte.
    »Wow«, sagte eine Stimme hinter ihr, »ein Trankopfer für die Götter. Ich bin beeindruckt.«
    Sie kauerte im Schatten der Eiche, an die sie die Ziegen über Nacht anleinten, damit sie nicht auch noch das letzte knospende Grün dieser Welt abfraßen, und indem sie ein Lächeln aufsetzte, schwang sie den Kopf herum. Sie war glücklich – beschwingt und kurz davor, ihren Frohsinn herauszuschreien, ob die Milch nun verschüttet war oder nicht –, weil sie sich genau das immer gewünscht hatte: gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern von der Natur zu leben, und scheiß auf Ronnie, wirklich, scheiß auf ihn. Also schön. Prima. Aber sie lächelte ins Leere: es war niemand da.
    Stand es so schlimm um sie? Flashbacks waren eine Sache, aber akustische Hallus?
    »Hier oben«, rief die Stimme, also blickte sie hoch, an der breiten grauen Straße des Baumstamms entlang, und sah dort die Sohlen zweier schmutzstarrender Füße, Füße so schwarz wie das Innere eines Grabs, und den weißen Fleck der nackten Oberschenkel und Hüften eines Mannes, darüber seine ebenso unbekleidete Brust, sein Haar und sein Gesicht. Er grinste zu ihr hinunter, rittlings auf einem Ast sitzend, der so dick war wie die Wasserrohre in der Stadtrandsiedlung, wo sie inmitten tuckernder Rasenmäher und qualmender Holzkohlegrills aufgewachsen war. Grillpartys. Fliederbüsche. Grundschule.
    Was konnte sie sagen? Sie hob die Handfläche an die Stirn, um die Augen gegen das grelle Licht zu schützen, aber da war kein Licht, da waren nur die tiefen Schatten des Laubs und darüber ein sanft schimmernder Fleck, die Sonne.
    Gleich über ihm – und wie hatte sie das nur übersehen können? – war ein Baumhaus, das exakte Ebenbild von dem, das ihr Vater für sie in dem wilden Kirschbaum hinten im Garten gebaut hatte, als sie acht wurde, weil sie sich das und nur das zum Geburtstag gewünscht hatte. Seine Stimme drang zu ihr hinunter: »War die Ziege aufmüpfig, oder hast du wirklich den Göttern ein Sühneopfer gebracht?«
    Sühneopfer? Was war denn das für ein Typ?
    »Ich wollte Joghurt machen, aber Dewlap hier, oder vielleicht ist es auch Amanda, die spielt nicht mit.«
    »Du brauchst einen Ziegenbändiger.«
    »Genau. Du bist wohl einer, oder? – Rein zufällig, meine ich ...«
    Er war einfach ein halbnackter Mann auf einem Baum. Er lachte. »Das hast du gut erkannt. Aber ehrlich, das ist nur ein Nebenjob – meine wahre Mission auf dieser Erde ist das Bauen von Baumhäusern. Übrigens, gefällt’s dir?«
    Er hieß Marco, und Norm Sender, der Typ – Freak –, der diese zwanzig sonnenverbrannten Hektar Land über dem Russian River geerbt und darauf vor zwei Jahren Drop City gegründet hatte, war ihm beim Trampen begegnet, auf der Straße von Bolinas. Marco hatte sich das Baumhaus an einem einzigen Nachmittag aus Brettern zusammengezimmert – das war gestern, während sie eine Siesta eingelegt, ein bißchen meditiert, im Garten gewerkelt und die gemeinschaftlichen Töpfe gescheuert hatte –, und als er ihr den Arm entgegenstreckte, ergriff sie seine Hand, und er zog sie neben sich auf den Ast, als wöge sie nicht viel mehr als die Sommerluft. Sie saß fast in seinem Schoß, und er war nackt, hatte aber keinen Ständer, denn darum ging es hier nicht – hier ging’s um das Brüder-und-Schwestern-Ding und darum, daß man zu einer bestimmten Morgenstunde oben auf einem Baum thronte und die Welt darunter allein weiterlaufen ließ. »Das hier ist der Berg Olymp«, sagte er, »und wir sind die Götter, die Lichtbringer, und siehst du den kleinen Fleck da unten auf der unbedeutenden Erde, wo die Ziegenmagd ihr Opfer gebracht hat?«
    Sie sah den Fleck, und das war witzig, das Witzigste auf der Welt, die Ziegenmilch im Staub, der umgekippte Blecheimer, die meckernden Ziegen, die ihre Bohnen auskackten, und eine Frühaufsteherin – es war Reba, bauschiges Blusengeflatter, die ewige Nährmutter Reba – trug aus der Küche des großen Hauses eine Schüssel Abwaschwasser, die sie sorgfältig über den Margeriten im Garten entleerte. Star lachte, bis ihr die

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