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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Rippen schmerzten und der Sauerstoffmangel sich in ihrem Hinterkopf bemerkbar machte, und dann führte Marco sie in das Baumhaus, fast zwei Meter breit und zweieinhalb Meter lang, mit einem Teppich, einer Gitarre, einem aufgeschlagenen Schlafsack und einem Dach aus köstlich duftenden Zederschindeln. Und was tat er als erstes? Er drehte einen Joint, leckte ihn an beiden Enden an und reichte ihn ihr.

2

    Der Straßenrand war seidig weich von Farn, Wildblumen und nassem Gras, das sich emporreckte, um den Bauch der Nebelschwaden zu erwischen, und er stand da in seinen löchrigen Jeans und hielt den Daumen raus. Er trug eine blaue Jeansjacke, ein T-Shirt, das seit einer Woche nicht gewaschen worden war, und ein Paar handgenähte schwarzrote Cowboystiefel, die er in Mexicali zu etwa einem Fünftel des Preises von San Francisco gekriegt hatte, allerdings waren sie nicht von allzu guter Qualität. Die Hacken waren ungleichmäßig abgetreten, und das Oberleder war so oft klatschnaß geworden, daß es die Farbe fast völlig ausgelaugt hatte. Oben, unter den Hosenbeinen, glänzten die Stiefel noch wie neu, aber was man von ihnen zu sehen bekam, erinnerte eher an die Rohlederknochen, die sie in der Zoohandlung im Grabbelkorb verkauften. Seine Gitarre war auch so ein Ding. Einen Kasten für sie hatte er nie besessen, jedenfalls konnte er sich nicht erinnern, deshalb wickelte er sie zum Schutz in einen schwarzen Müllsack. Während er mit herausgerecktem Daumen an der Straße stand, lehnte sie aufrecht an seinem Bein wie ein absurder Glitzerpilz, der aus dem Boden gesprossen war, als gerade niemand hingesehen hatte.
    Es regnete nicht, nicht richtig, aber die Bäume fingen den Nebel ein, und er hatte sich die Haare mit einem roten Halstuch zurückgebunden, um die triefnassen Strähnen aus dem Gesicht zu halten. Am Gürtel trug er ein Messer in einer fünfzehn Zentimeter langen Scheide, das aber nur für gewaltlosen Gebrauch gedacht war, etwa zum Abrinden von Manzanitazweigen oder zum Ausnehmen von Forellen, bevor er sie in Alufolie auf einem Bett aus glühenden Kohlen garte. In seiner ledernen Feldflasche war Wasser, kein Wein (diese Lektion hatte er auf die harte Tour gelernt, damals in der Sonora-Wüste), und der alte Armeerucksack enthielt einen Schlafsack, eine grobe Decke für den Boden, ein paar Gerätschaften und eine feuchte Taschenbuchausgabe von Steinbecks Von Mäusen und Menschen . Am Morgen hatte er die ersten Seiten mal wieder gelesen – wie George und Lennie vor einem Feuer aus Schwemmholz sitzen, in einer Welt, die alles verspricht und nichts hält –, während die Dämmerung grau durch die Bäume gesickert war und er sich Kaffee gekocht und eine Dose Eintopf über seinem eigenen Lagerfeuer gewärmt hatte. Marco dachte gerade darüber nach, wie Lennie immer wieder seinen Refrain »Und leben vom Fett der Erde!« durchhielt, trotz der tristen Beweise des Gegenteils, als das erste einer ganzen Prozession von Autos aus dem Nebel auftauchte und an ihm vorbeizischte, als würde er gar nicht existieren.
    Ihm war das egal. Er hatte keine Eile. Er ließ sich eher treiben, anonym wie der Morgen, und ja, er hatte einigen Ärger mit der Polizei wegen Drogenbesitzes gehabt, hatte mit dem College aufgehört, seinen Job gekündigt, dann den nächsten und den übernächsten, und ja, er hatte auch die harte, kalte Kartonpostkarte bekommen, mit dem unwiderlegbaren Einberufungsbescheid schwarz auf weiß in dem Briefkasten aus grausilbernem Blech vor dem Haus seiner Eltern in Connecticut, aber das war schon zwei Jahre her. In der Zwischenzeit – und hier dachte er an seinen Lieblingsroman von Steinbeck: Tortilla Flat – hatte er versucht, die Dinge anders anzugehen, alternativ zu leben, einfach dort abzuhängen, wo es lustig war. Alle redeten ja immer davon, zurück zur Natur zu kommen, als wäre das an sich schon ein Fortschritt. Er wußte inzwischen, was die Natur war – er hatte auf ihr gepennt, war in ihr gewandert, hatte ihre grellen alkalischen Ebenen durchquert und sie körperlich gespürt, wie eine gewaltige ein- und ausatmende Lunge, während er in der Stille des Morgens unter den Bäumen dahinschritt. Das war schon was ... und einstweilen das Beste, was er tun konnte. Was die Autos anging: auch am Abend davor hatte er keinen Lift bekommen, daraufhin hatte er diese Stelle gefunden – eine scharfe Biegung der Straße, gesäumt von Eukalyptusbäumen, die nach Tau und Menthol und allen Möglichkeiten des Lebens dufteten

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