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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einen kurzen Moment lang, wie die Zange sie losließ. »Diese Frisur«, flüsterte sie, fühlte sich besser, fühlte sich gleich wieder stoned, »die würde ich einen Notfall nennen.«
    Alle im Raum sahen zu, wie Norm Premstar an den Tisch führte, wo er mit jener übertriebenen Eleganz, die jedem ringsherum verkündete, daß sie noch vor zehn Minuten miteinander gevögelt hatten, einen Stuhl für sie zurechtstellte, ihr den Joint überreichte und auf die morsche Eichentischplatte sprang. »Leute«, rief er, »Brüder und Schwestern, ich hab euch was zu erzählen, und ich bin mehr als tief betrübt, daß ich das ausgerechnet heute abend tun muß, noch dazu bevor wir das Freudenfeuer entzünden und tanzen – und ich sag euch, wir werden heute total abtanzen, glaubt mir, wir werden tanzen , wie noch nie jemand getanzt hat, ich meine, wir werden die ganze Aktion des Tanzens neu erfinden , für heute und für immer –, aber diese Sache hat sich jetzt schon lange Zeit angebahnt, und sie läßt sich nicht länger leugnen und auch nicht mehr aufschieben, deshalb muß ich das einfach loswerden, also hört mich an ...« Er legte eine Pause ein, und niemand sagte ein Wort, keiner wagte auch nur zu atmen.
    Star ergriff Marcos Arm und zog ihn über ihre Schulter wie einen Umhang. Jetzt pochte auch ihr Herz, nicht nur ihr Kopf, ein Hämmerchen, das dort immer wieder anschlug, wie in dieser Fernsehwerbung – sie würde nicht zurück nach Peterskill gehen, egal, was passierte, und wenn Drop City noch heute nacht geschlossen würde. Sie wollte hierbleiben, nirgendwo anders, und ihr war es völlig schnurz, was Norm sagte oder wie schlimm es war.
    Norm beugte sich hinab, um Premstar Feuer zu geben, die einen tiefen Zug nahm, und Norm sah voller Besitzerstolz zu, wie sie den fetten Joint an Reba weiterreichte, ehe er sich wieder aufrichtete und im ganzen Raum umsah. »Ich sage euch die schlechte Nachricht zuerst, aber denkt daran, was das I Ging sagt: ›Beharrlichkeit bringt voran‹ – und ihr alle, jeder von euch Brüdern und Schwestern, werdet ja wohl wissen , daß die guten Schwingungen allemal die schlechten vertreiben können und daß wir beharrlich bleiben werden in unserer Mission und unserer Philosophie und all der Liebe und Wahrheit und den wunderbaren Schwingungen von Drop City und den Dingen, die wir hier zustande gebracht haben, trotz der Faschisten, die ständig an unsere Tür klopfen.« Wieder eine Pause. Er wurde leiser. »Nur werden wir nicht mehr hier sein. Nicht auf diesem Grundstück.«
    Falls es noch einen Rest Atemluft im Raum gegeben hatte, so war er jetzt weg, glatt zum Fenster hinaus entwichen. Nicht mehr hier? Wovon redete er nur?
    »Einen Scheiß werden wir!« Jiminy hüpfte von seinem Stuhl hoch, die Haare wirbelten ihm wie Windmühlenflügel um die Schultern. Er ballte die Faust und ließ sie zu Norms Füßen auf den Tisch krachen, dann fiel er in sich zusammen und zitterte am ganzen Leib. Auch zu ihm war der Tag nicht allzu freundlich gewesen, das sah Star auf einen Blick.
    »Es ist vorbei, Leute«, seufzte Norm, und dabei sah er Jiminy nicht einmal an, sondern ließ seinen Blick durch die Menge schweifen, von einem Gesicht zum nächsten, wie von einer Perle der Kette zur nächsten. »Die Bürokraten haben ihren Krieg gewonnen. Die Papiertiger, die Buchhalter, die Schweine . Wir sind bereits Geschichte, und damit findet ihr euch besser schnell ab, denn bald macht sich hier die Spießerwelt breit.«
    Jetzt waren alle hellwach. Oder nein: sie waren fuchsteufelswild. »Blödsinn!« rief jemand vom anderen Ende des Raums. »Das lassen wir nicht zu!« »Nein!« pflichtete Maya bei, und ihre Stimme war nicht viel mehr als geformte Luft, die Brille blitzte wie ein Schutzschild im Schein der Deckenlampen, und was sollte das überhaupt mit diesen Lampen, fragte sich Star, wozu warfen sie hier der Elektrizitätsgesellschaft Geld in den Rachen? Tat Norm das mit Absicht? War das möglich?
    Und dann erklang eine Stimme, die Star vertraut war, die sie so gut kannte, als würde sie selbst sprechen: »Komm schon, Norm, komm, laß uns nicht im Stich.« Es war Ronnie, der am anderen Ende des Raums saß, mit verkniffenem Gesicht und verschwiemelten Augen. Er sah grauenhaft aus. Als hätte er sich eine Woche lang begraben und dann wieder ausbuddeln lassen. Aber diese Stimme, dieser Tonfall – es lag etwas Verzagtes, Verzweifeltes darin, ein Beben, das sie wiedererkannte von den vielen nächtlichen Ansprachen über Gott,

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