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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Elektrizitätswerks, dem Licht, das zu sparen Norm und Alfredo immer allen einschärften – Kerzen, Leute, nehmt doch Kerzen! –, und als sie und Marco die abgelatschten Stufen zur Veranda hinaufstiegen, schienen die Bretter unter ihren Füßen zu zerfallen, als stünde das Haus kurz vor dem Einsturz. Sie sah das gesplitterte Holz des Türrahmens, das löchrige Drahtgitter der Fliegentür, den abgeschabten Fleck, wo der Zugriff Zehntausender Hände den Lack rund um den Haken weggerieben hatte, sah alles mit absoluter Klarheit, obwohl sie einen Kopfschmerz herannahen fühlte, einen erbarmungslos pochenden, frisch erwachten Schrei von Schmerz, aber so war das eben mit Acid, diesen Preis mußte man zahlen. Öffne dein Bewußtsein, und rein mit den Reizen. Sicher doch. Und am Ende fühlte man sich wie halbtot am Strand angespült. Sie stützte sich an Marcos Arm ab, dann knallte die Fliegentür hinter ihnen zu, und sie standen unsicher in dem großen Zimmer, in dem die Atmosphäre eines Bestattungsinstituts herrschte – niemand spielte Schach oder Dame oder machte es sich mit einem Buch in einem der speckigen Lehnsessel gemütlich. Nur Unrat gab es genug – Zeitungen, Zeitschriften, schmutzige Teller, Tassen und Gläser, schmutzige Sachen und ein Paar schlammige Stiefel –, und wo es Unrat gab, war auch Leben. Wie um diese Pointe zu unterstreichen, wählten die Hunde genau diesen Moment, um in den Raum zu streichen und an ihrer Hand zu schnuppern, während nun auch leises Stimmengemurmel aus dem Nachbarzimmer herüberdrang.
    Fast alle hatten sich bereits eingefunden, die meisten hockten im Schneidersitz auf dem Boden, mit bleichen Gesichtern und leerem Blick. Die Leute rieben sich die Schläfen und ließen einen Krug mit Eistee oder Kool-Aid-Limo herumgehen, sie sah es nicht genau, man zupfte gedankenverloren an seinen Ohren oder Zehen herum und breitete die Arme aus, wie um schwimmen zu lernen – oder vielleicht Levitation. Alfredo und Reba saßen ganz vorn, Reba hielt eine Zigarette in der Hand und bedachte ihren Alten mit einem Vortrag über dieses oder jenes, dabei malte sie mit der Glutspitze Muster in die Luft. Ronnie saß weiter hinten im Raum, zusammen mit Merry und Lydia versank er in einem Berg von Kissen, und Jiminy lümmelte sich am Tisch bei Verbie, Angela, Harmony und Alice.
    Star fragte sich, wie sie aussah – sie war seit Tagen nicht mal in der Nähe eines Spiegels gewesen –, und als sie den Raum betrat, versuchte sie, ihr Haar mit den Fingern zu teilen, wie eine Kappe seitlich am Kopf zu glätten und einige widerspenstige Strähnen hinter die Ohren zu stecken. Sie trug ein Paar getöpferte Ohrringe – blaue Delphine mit aufgemalten Grinsemäulern –, die sich mit jeder Minute schwerer anfühlten, bis sie ihr wie Ziegel an den Ohrläppchen hingen, doch sie brachte einfach nicht die Energie auf, sie abzunehmen. Sie hatte ihre Sandalen nicht gefunden, aber auf der Ranch liefen die meisten fast immer barfuß herum, also machte es nichts aus, aber ihr T-Shirt und die Shorts kamen ihr klamm vor, und wann hatte sie die eigentlich zum letztenmal gewaschen? Oder überhaupt irgendwas gewaschen? Auf einmal hatte sie wieder Angst – um sich selbst, um Marco und um Drop City, um all die futschgegangenen Neuronen und fehlgeschalteten Synapsen eines ganzen Kontinents von Kiffern, Acid-Heads, Freaks und Bräuten. Womm, pochte das Blut in ihren Schläfen. Womm- womm-womm.
    Sie wechselte gemurmelte Begrüßungen mit ein paar Leuten, erwog kurz, quer durchs Zimmer zu Merry zu gehen, fühlte sich aber plötzlich so schwach, als hätten sich soeben ihre Knochen aufgelöst. »Setzen wir uns einfach hierhin«, sagte sie zu Marco, und sie sanken knapp hinter der Tür zu Boden, denn im Ernst, was machte es schon aus? Norm berief solche Notfallversammlungen nicht aus Spaß ein – hier würde es schlechte Nachrichten geben, und da war es reichlich schnurz, ob man sie stehend oder sitzend erfuhr, am Rande oder im glühendheißen Zentrum.
    Sie sah Alfredo auf die Beine kommen, sich umdrehen und die Anwesenden mustern. In seinen Augen blitzte ein matter Glanz, als wären sie frisch lackiert und noch nicht richtig getrocknet. Das Lampenlicht entstellte seine Züge, höhlte seine Wangenknochen aus und verlieh ihm das Aussehen des gekreuzigten Christus auf dem großen Fresko über dem Altar der Kirche bei ihr zu Hause. Er zog auch sonst meist ein langes Gesicht, jetzt aber wirkte er absolut tragisch. »Hört mal, Leute, wir

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