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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sei langsam Zeit, in die Stadt zu fahren.
    Er sah sie überrascht an. Die Bäume mußten noch mit dem Breitbeil entrindet, die Böschung hinaufgezogen und zum Trocknen gestapelt, mußten eingekerbt und aufeinandergelegt werden. Danach gab es noch die Ritzen zu schließen. Dann kam das Dach, und mit dem Mittelpfosten würden sich wohl beide einen doppelten Bruch heben, falls bei Frauen so etwas überhaupt vorkam. »Wozu?« fragte er.
    »Und ich meine nicht bloß nach Boynton.«
    »Du willst den weiten Weg nach Fairbanks machen?«
    Sie nickte nur.
    »Okay«, sagte er und hätte sie nach Topeka und wieder zurück begleitet, wenn sie das wirklich wollte, »ich versuch’s noch mal: wozu? Zum Einkaufen?«
    »Ach, dazu auch«, sagte sie und schob ihren Teller beiseite. Sie thronte im Schneidersitz auf den frisch geflößten Baumstämmen wie ein Flaschengeist, als hätte sie nur mit dem Finger schnippen müssen, um das Bauholz erscheinen zu lassen. »Ich möchte deine Männerbude da tatsächlich mit ein paar Sachen aufmotzen, und ich möchte die Vorräte aufstocken – mag ja sein, daß wir den ganzen Winter Elch essen, aber ich seh keinen Fehler darin, ein paar Gemüsekonserven, Reis, Gewürze, eingelegte Gurken und so weiter als Beilage zu haben. Lasagne. Spaghetti. Schokoriegel. Karamelbonbons. Marshmallows.«
    Er hievte sich hoch, streckte die Beine – er hatte zu lange auf einem Fleck gesessen, und jetzt spürte er die Steifheit aus dem Rückgrat in beide Oberschenkel ausstrahlen. »Aha, das ist es also, Marshmallows. Die Katze ist aus dem Sack. Meine Frau und ich fahren in die Großstadt wegen Marshmallows.«
    Sie schenkte ihm ein Grinsen, das ihm von neuem bewußt werden ließ, was er längst geahnt hatte – daß er sein eigenes Leben nicht mehr bestimmte, ja es nie wieder bestimmen würde. »Haargenau«, sagte sie und sah zu, wie eine Wolke in der Form eines Eherings – vielleicht auch einer Henkersschlinge – am Himmel vorbeizog. »Wir fahren in die Stadt wegen Marshmallows.« Dann verflog das Grinsen. »Und wegen der Hunde. Meinst du nicht, es wird langsam Zeit?«
    Um sechs Uhr am nächsten Morgen brachen sie nach Boynton auf, gegen halb neun zogen sie das Kanu an Land und gingen Hand in Hand den Hang hinauf zur Baracke. Es war ein seltsames Gefühl für alle beide – ein sentimentales, beinahe nostalgisches Gefühl. Der Bodenbewuchs war in einem breiten Oval niedergetrampelt, wo alle getanzt hatten, und im dichten Eisenhut an den Rändern ließ die Sonne hie und da auch noch eine Flasche oder eine abgerissene Paillette aufblitzen, Artefakte des Rituals, das sie hier zwei Wochen zuvor abgehalten hatten. Über die verstreuten Reiskörner hatten sich die Vögel hergemacht, bis ihnen die Bäuche platzten, und man sah die halbmondförmige Grube, wo der Grill gestanden hatte. Sie war mit Asche gefüllt, aus der einzelne verkohlte Knochen herausragten wie die Stämme von winzigen Bäumen nach einem Waldbrand, und durch die Asche verliefen kreuz und quer die Spuren von Wieseln und Erdhörnchen. Alles übrige war verschwunden wie ein Zigeunerzirkus, wie ein Zaubertrick. »Das war vielleicht eine irre Party«, sagte Sess, »wetten, daß die keiner so schnell vergißt?«
    »Genau«, sagte sie und sah ihn von der Seite an. »Bis zur nächsten.«
    Sie lungerten noch ein paar Minuten in der Baracke herum, legten im Geist Einkaufslisten an und stapelten ein paar Dinge – vor allem Werkzeug –, die sie auf der Rückfahrt ins Blockhaus mitnehmen wollten, und dann klappten sie die Fliegentür von Richard Schraders Haus auf und riefen im Chor seinen Namen, bis feststand, daß er entweder mausetot oder unterwegs war. Sein Pickup stand vor dem Haus – der Wagen war unerläßlich für die geplante Expedition, denn Pamelas Gremlin gehörte inzwischen dem Frittenkoch vom Northern-Lights-Imbiß in der C Street im Zentrum von Anchorage, und Sess besaß seit drei Jahren kein Auto mehr –, daher vermuteten sie, daß er nicht weit sein konnte. Außerdem fanden sie, daß sie sich nach der bierlosen Flußfahrt im Nieselregen einen Drink verdient hatten, und Pamela wollte ihre Mutter anrufen, um sich zu überzeugen, daß sie gut nach Hause gekommen war, und um ihr zu versichern, daß das komplizierte Geschäft dieser Liebe zu ihrer Zufriedenheit verlaufen sei. Sess war einverstanden. Sess war mit allem einverstanden. Der Regen war gut für den Garten, sie hatten zwei Wochen Arbeit hinter sich, und so hatte wohl noch keiner die

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