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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hier oben auch nur einen Monat lang durchhielten, wäre das schon ein Wunder.
    Auf der Straße teilte er sich eine Zigarette mit Star, alle wuselten durcheinander, als wären sie hergekommen, um in der Sonne herumzuhängen, hier auf den Gehsteigen einer geduckten Wildweststadt, der es irgendwie gelang, zugleich vor- und postindustriell auszusehen mit ihren windschiefen Wellblechbaracken, den ausgewaschenen Ziegelwänden und verrosteten Fertigbau-Lagerhallen, die über die flache Landschaft robbten wie verwundete Soldaten. Pan und Lydia hockten auf der Haube des Studebaker, aus dessen Radio in blechernen Fetzen Top-40-Hits ertönten, wie man sie ebensogut in Tuscaloosa oder Sioux City hätte hören können, während Verbie und ihre Schwester sich zischelnd wegen irgendwas stritten. Das Klo im hinteren Teil des Lokals wurde immer noch von Leuten in Beschlag genommen, und ständig ging irgendwer zurück, um sich Zahnstocher, Pfefferminzbonbons oder Kaugummi zu kaufen – Hauptsache, man konnte die Abfahrt des Busses noch ein Stück hinausschieben –, aber dann ergriff Norm Premstars Hand und kletterte die abgelatschten Metallstufen hinauf, und plötzlich kamen alle hinterher. Er zählte kurz durch, der Motor erzitterte mit einem scharfen Spotzer aus verbrauchtem Diesel, dann rollte der Bus ruckend los und fuhr in einer Qualmwolke davon.
    Sie ratterten durch die öden Straßen des Zentrums, überquerten den Chena River und nahmen den Steese Highway, alle waren randvoll mit überteuertem Billigessen, nichts als Fett und Glukose und Phosphate, die ihnen jetzt durch den Kreislauf rumorten wie der Tod auf Raten. Zigaretten gingen von Hand zu Hand, hie und da auch ein Joint und eine Lederflasche voll Wein. Maya und Merry bedachten die Indianer und die glotzäugigen Alkoholiker, die hier die Einwohnerschaft darzustellen schienen, mit Kußhändchen und Peace-Zeichen, allmählich wurde aus dem Asphaltbelag eine Serie von Schlaglöchern, dann eine Schotterstraße, und schon hatte das offene Land sie wieder, das plötzlich in grellem Grün erstrahlte, während das letzte Stück ihres Wegs gegen die Räder schwappte wie eine gutmütige See.
    Hinter dem Lenkrad erwachte Norm zu neuem Leben. Es war erstaunlich. Eben noch war er tot und begraben gewesen, und im nächsten Augenblick konnte er drauflosquasseln, so daß Marco sich verwundert fragte, welche Mengen an heilsamen, erfrischend labenden Pharmaprodukten die Bewohner von Drop City wohl in ihren privaten Verstecken mitgenommen hatten – ging das nach Unzen, Pfunden oder Anstaltspackungen? Norm trommelte auf das Lenkrad ein, wiegte sich in den Schultern, klopfte mit dem linken Fuß einen Takt. Er war jetzt der Reiseführer und beugte sich zur Windschutzscheibe vor, um den Namen jedes Bächleins und jeder Talsenke, die sie passierten, laut hervorzukrähen und jeden in seiner Hörweite über die Besonderheiten des unteren Yukon aufzuklären sowie Geschichten über Pelzjäger und Goldgräber, oder was sich dafür hielt, zum besten zu geben.
    Marco schmeckte den Wein tief hinten in der Kehle. Er reichte die Flasche weiter an Star und drückte das Gesicht gegen die Scheibe. Ihnen gegenüber saß Premstar mit strähnigem Haar allein auf einer Bank. Sie trug Shorts und hatte die Beine auf dem rissigen Vinylsitz aufgestellt, so daß sich die kleine Falte in ihrem Schritt abzeichnete, ihre Knie wackelten rhythmisch, die nackten Knöchel waren eckig und weiß. Sie las eine Zeitschrift mit dem Hochglanzfoto irgendeiner Frau auf dem Titelblatt. Norm hätte ebensogut mit sich selbst reden können.
    »Seht ihr, wie die Bäume da in alle möglichen Richtungen kippen – die zwei da vorn zum Beispiel, wie gekreuzte Schwerter? So was nennen sie den besoffenen Wald, als wären die Bäume allesamt total hinüber und könnten nicht mehr gerade stehen.« Er drehte sich auf dem Sitz herum und preßte die Worte aus dem Mundwinkel. »Marco, hörst du überhaupt zu?«
    Star antwortete für ihn. »Klar hören wir dir zu. Was sollen wir denn sonst machen?«
    »Premstar?«
    Premstar blickte nicht mal von ihrer Zeitschrift auf.
    Norms Kopf schwang wieder herum, und er richtete die Worte an die Windschutzscheibe, während der Motor aufheulte und der Bus sich durch die Spurrillen quälte. »Das macht der Dauerfrost, diese kaputten Bäume. Einen guten halben Meter tiefer ist die Erde da unten wie Stein, festgefroren seit der Eiszeit, ach was, schon lange vor der Eiszeit, seit den Zeiten der Mammuts und so.

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