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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nicht übel, daß wir hier keine haben, weil wir so unsere Ohren wieder für die Umwelt sensibilisieren können, auf die Elche, die Karibus, die Wölfe – übrigens, hast du gestern nacht die Wölfe gehört?«
    Sie hielt die Augen geschlossen. Sie murmelte irgend etwas – ja, nein, vielleicht –, und dann klappte sie die Augen wieder auf, legte die Hände auf seine und führte sie an ihren Oberschenkeln entlang. Eine Weile blickten sie beide auf ihre vier Hände, die sich gegen die festen Längsnähte ihrer Jeans preßten, und irgendwann beugte sie sich vor und küßte ihn. Er hörte das Rauschen des Flusses in seinen sensibilisierten Ohren, spürte das Blut in den Schläfen pochen. Und dann zog er sich das T-Shirt über den Kopf, fummelte an seinem Gürtel herum, an der schweren Pistole, die an seinem Oberschenkel hing wie bei einem Westernheld im Fernsehen, wie bei Matt Dillon oder Johnny Yuma – ja, er war ein Cowboy, klang das nicht super? –, und sie streckte die Beine aus, wobei der grellorangefarbene Zeltstoff ein komisches Geräusch von sich gab, und streifte sich in einer einzigen Bewegung Jeans und Unterhose bis zu den Knien hinunter. Seine Hand lag sofort auf ihr, ihre Lippen trafen sich wieder, und dann –
    Und dann rief Jiminy ihren Namen – »Merry! Merry?« –, seine nassen Dingostiefel knirschten im Kies der Sandbank. »Bist du hier irgendwo? Merry?«
    Pan erstarrte. Genau wie sie. Jiminy konnte sie nicht sehen, niemand konnte das. Das Zelt war nicht aus halb durchsichtigem grellorangefarbenem Nylonstoff – es war aus Stahl, aus bleiummanteltem Stahl, mit fünfzehn Zentimeter dickem Beton obendrüber. Pan explodierte beinahe. Die Gürtelschnalle ging einfach nicht auf. Er wagte nicht, sich zu bewegen.
    »Merry?«
    Plötzlich teilte sich der Stoff am Zelteingang, Mücken nutzten die Gelegenheit, während Jiminys Gesicht sich hereindrängte und dort hing wie eine zweite Sonne. Einen Moment lang war alles in der Schwebe: Pan war auf frischer Tat beim Kekseklauen ertappt, Merry zog eine wenig erfreute Miene, und Jiminys Gesichtsausdruck durchlief einen ganzen Katalog von widerstreitenden Emotionen, angefangen vom Schock wie von einer Ohrfeige über allmähliche Erkenntnis bis zu Geilheit, Gekränktheit und Haß. Der Fluß rollte sich ein und wieder auf. Die Vögel schwiegen ganz still. Und dann versuchte es Jiminy noch einmal, wie mit einem Kieselstein, den man von hoch oben in den tiefen dahinströmenden Yukon warf: »Merry?«
    Am Morgen meldete sich Ronnie freiwillig, das Boot flußabwärts zu bringen, um zwei von den Leuten aus dem Bus abzuholen (man hatte eine Art Urlaubszeitplan aufgestellt) und die achthundertsiebenundsechzig absolut unerläßlichen Handelsartikel herbeizuschippern, ohne die Drop City Nord binnen kürzester Frist nicht mehr bestehen würde – darunter fanden sich Baustoffe, Werkzeuge, Süßigkeiten, Zigaretten, Haarshampoo, Sonnencreme, Kartoffelchips, billige Taschenbücher von beliebiger Qualität und Thematik, Hauptsache auf englisch. Und die Post, auf keinen Fall die Post vergessen. Jeder gab ihm eine Liste mit – Marco, Star, Reba, Bill und Premstar, sogar Jiminy (ziemlich keß, nach dem, was er sich am vergangenen Abend geleistet hatte). Aber das ging in Ordnung. Sie waren alle Brüder und Schwestern, niemand meckerte, niemand beklagte sich, freie Liebe in einer freien Gesellschaft. Pan sammelte Geld und zusammengefaltete Zettel ein und verteilte dafür Zusicherungen und vorsorgliche Absagen: »Klar doch, wenn ich’s irgendwo finden kann, logisch.« Er war der Mann der Stunde, und alle kamen zu ihm, sogar Norm. (»Bonbons!« brüllte Norm und watete extra in den Fluß hinterher, als Pan schon abgelegt hatte, dem Motor fehlte übrigens nichts, was sich mit ein paar trockenen Zündkerzen nicht beheben ließ, tuck-tuck-tuck, vraooom . »Die altmodische Sorte, ja, Karamel oder Zimtgeschmack und so Zeug. Nimm eine große Dose, so fünf Kilo. Oder zehn. Oder fünfzig!«)
    Das einzige Problem war Verbie. Sie kam mit, und nein, er konnte wahrhaftig auf ihre Gesellschaft verzichten, er brauchte überhaupt niemanden, außer vielleicht Lydia, die ihn mit gespreizten Beinen erwartete, aber Verbies Mutter lag im Krankenhaus mit irgendeinem grauenhaften Alptraum von Unterleibskrebs, der ihr Inneres zu Suppe zerkochte, und deshalb mußte Verbie jetzt zu Hause anrufen und sie ein wenig trösten, obwohl sie vor drei Jahren abgehauen war und seither kein Wort mit ihrer Mutter

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