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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie jeder andere. Und attraktiv. Attraktiv wie eine Schönheitskönigin. Was ja an sich schon unverzeihlich war.
    »Und dann hab ich auch Nachrichten wegen der Ranch – da wollte ich den rechten Zeitpunkt abwarten, um das mit euch zu besprechen: gute Nachrichten, und auch schlechte. Die gute Nachricht ist, daß wir meinen Anwalt haben, der sich dahinterklemmt und der Bezirksbehörde das Recht auf Zwangsvollstreckung abspricht, denn die wollten sich ja glatt das Grundstück schnappen – das bedeutet, wir können es doch noch verkaufen, und nach dem Abbezahlen der Steuerschulden hätten wir das nötige Kleingeld , also genug Kohle jedenfalls, um hier wirklich was aufzuziehen. Da spreche ich von neuen Gebäuden, von einer Sauna, Schneemobilen, für jeden etwas – wir können echt was machen aus dieser Kommune, sie uns lebenswert, sogar behaglich gestalten. Und autark, auf jeden Fall autark. Das ist mein Ziel, mit einem Wort umrissen ...«
    Und die schlechte Nachricht? wollte Star schon sagen, und ihr Herz pochte – sie brauchte keine schlechten Nachrichten, nicht wenn Marco irgendwo da draußen in der Nacht herumwanderte, vielleicht verirrt, vielleicht verletzt –, aber Bill kam ihr zuvor. »Und was ist die schlechte Nachricht?« fragte er.
    Keine Ausflüchte mehr, kein Zurück jetzt: Norm schob das Kinn vor und forderte den ganzen Raum heraus. »Ich muß hier vom Acker«, sagte er. »Prem und ich. Aber nur für einen winzig kleinen Ausflug – nichts anderes ist das, ein Ausflug –, weil die mich da unten persönlich vor Gericht sehen wollen, und ... Na ja, ich hab’s mit Joe Bosky schon geregelt. Er fliegt mich rüber zum Flughafen nach Fairbanks. Also, wenn das wettermäßig irgendwann möglich ist.« Er blickte in jedes einzelne Gesicht im Blockhaus, hakte eins nach dem anderen ab. »Und Prem auch«, sagte er. »Prem ist krank.«
    Es dauerte eine Minute. Sie waren geschockt, nichts anderes. Sie waren angeschlagen. Hingen in den Seilen. Niemand hätte das geahnt, nicht einmal in seinen wildesten ... Star sah ihre Gesichter in Flammen aufgehen, die Blicke zu Asche werden. Niemand konnte sprechen. Keiner sagte ein Wort. Norm hatte soeben eine lodernde Fackel ans Dach des Versammlungsgebäudes gehalten, er hatte Napalm auf das Dorf abgeworfen und die Flüchtlinge beschossen. Sie spürte, wie sie sich aus ihrem Sitz erhob, als wäre sie in einer gänzlich anderen Dimension, und geschah nicht genau das mit einem, wenn man starb, diese außerkörperlichen Erfahrungen, wo man als purer Geist über seinem Körper schwebte? Sie stieg immer höher, flog mit den Wolken, und dann durchstieß sie sie und war in der rauhen Nacht der Sterne und Planeten und ihrer eiskalten Hitze. Und jetzt waren da zornige Stimmen, ängstliche Stimmen, die rings um sie aufflackerten, als wollten sie sie abschießen. »Und Marco?« stammelte sie, kämpfte darum, gehört zu werden, »du kapierst nicht, ihr könnt jetzt nicht weg, keiner kann weg – Marco ist irgendwo da draußen!«
    Sie ging hinaus in die Dunkelheit und rief nach ihm, aber die Rufe erstarben ihr im Hals – er kam nicht mehr zurück, niemand kam wieder zurück, Marco war tot, Drop City war tot, und sie hätte ebensogut selbst tot sein können. Der Wind spie ihr ins Gesicht, rammte gegen ihre Schultern, stieß ihr seine trockene Zunge unter den Kragen und in den Hosenbund. Sie mummelte sich in den Parka und unternahm einen Rundgang – hinauf zur Ziegenkoppel, zum Fluß hinunter und wieder zurück, wobei ihre Spuren zuschneiten, sobald sie nur die Füße hob, die Wolken hingen reglos am Himmel, die Hügel schwiegen und ragten wie von den Speeren der Bäume aufgespießt empor. Der Schnee ging ihr fast bis an die Knie und bildete jetzt Wächten, nahm Struktur und Form an. Sie hatte kein Gefühl mehr in den Zehen. Ihre Füße waren wie Eisblöcke, die Fingerspitzen taub. Sie fror. Sie war hilflos. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie machte die Runde ein zweites Mal, kämpfte und schrie: »Marco! Marco!« Sie blieb stehen, lauschte, rief noch einmal. Niemand antwortete.
    Dann war sie in ihrem Blockhaus und legte Holz aufs Feuer. Sie hatte das Haus für sich, einstweilen zumindest, weil alle anderen drüben im Versammlungsgebäude waren und debattierten, herumschrien, die schlechten Schwingungen in sich hineinfraßen, und selbst die, die nicht mitgegessen hatten, waren jetzt auch da – sie hatte ihre dunklen Gestalten durch den Schnee wuseln sehen, es war Panikzeit, allerdings.

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