Grün war die Hoffnung
Gewirr aus gefletschten Zähnen und sich verhakenden Beinen an ihrem Geschirr. Sess band den Schlitten ein gutes Stück entfernt an einem Baum fest, und er und Marco gingen auf das Tier zu, das sich ihnen im Radius seines feststeckenden Hinterlaufs entgegenwarf und wütend schnappte. Der Schnee war blutgefleckt. Der Coyote hatte versucht, Fell, Haut, Knorpel und Knochen des eigenen Beins durchzunagen, um sich zu befreien, aber jetzt war es zu spät, weil nun Hunde da waren und Menschen, und der eine hielt ein Gewehr, der andere einen Knüppel. »Scheiße, am liebsten würde ich ihm kurz eins überziehen und dann seinen Lauf befreien«, sagte Sess, »aber der hat mir noch etwas zuviel Feuer in sich. Riskieren wir’s lieber nicht.«
Das verletzte Tier steckte fest, in seinen Augen lag nichts als untröstliches Entsetzen, obwohl es weiter zerrte und knurrte und drohte – und wo blieben bei alledem Liebe und Frieden, was war mit Pazifismus und der vegetarischen Lebensweise? In der Farbe erinnerte der Coyote an einen Schäferhund, vielleicht war er etwas kleiner, aber mit demselben gelblichbraunen Fell und den dunklen Deckhaarspitzen. Marco drehte sich der Magen um. Konnte man hier draußen leben, ohne so etwas zu tun? Sich nur von Fisch ernähren? Und von dem existieren, was man im Sommer bei Waldbrandeinsätzen verdiente? Von der Wohlfahrt und dem Arbeitslosengeld, von Thunfisch, Makkaroni und Käse? Sein Atem dampfte in der Luft. Sess reichte ihm das Kleinkaliber. »Los doch«, sagte er. »Mach seinem Leiden ein Ende.«
In diesem Moment wurde es dunkel, oder es kam Marco so vor. Der Coyote hatte zu kämpfen aufgehört. Er kauerte hechelnd vor ihm, den Kopf tief gesenkt, das Feuer in seinen Augen war erloschen. Marco schaffte es nicht mal, das Gewehr anzulegen. »Ich kann nicht«, sagte er und gab es Sess zurück. Er wandte sich ab und sah nach den Hunden, und kurz danach entlud sich die dräuende Stille in einem Schuß.
Später, als die Wolken sich verzogen hatten und der Mond über den Horizont gehüpft war, fuhren sie über eine weite Wiese entlang des Flusses, keine Viertelstunde mehr von der Hütte am No Name Creek entfernt, die für diese Nacht ihr Ziel war. Der Coyote lag steifgefroren und staksbeinig oben auf dem Schlitten wie überflüssiges Gepäck. (»Kannst ihn ja häuten und deiner Freundin mitbringen«, hatte Sess gesagt. »Nagle ihn an die Wand, oder mach einen Bettvorleger draus. Nenn es deine erste Beute.«) Die Hunde ließen schon etwas nach, besonders die beiden vor Lester und Franklin. Sie warfen sich vorwärts, dann blieben sie wieder zurück, zuckten in den Hüften, und ihre Beine gerieten immer wieder aus dem Takt. Marco stand auf den Kufen, Sess joggte neben ihnen her. Auf einmal hörten sie das Flugzeug, ein dünnes, mechanisches Schwirren in der Luft, die zu kalt war, um mitzuschwingen.
Sie fuhren weiter. Bald würden sie die Hütte erreichen, wo sie ein Feuer erwartete und wieder ein Elcheintopf – oder vielleicht war es diesmal eine Elchsuppe mit Einlage oder gebratener Elch im Speckmantel, mit gefrorenen Kartoffeln und Zwiebeln oder sogar getrockneten Karotten dazu –, und ein Flugzeug bedeutete gar nichts für sie. Vermutlich war es jemand aus Eagle, der nach Boynton unterwegs war, oder nach Fairbanks oder Delta. Marco ließ das Schwirren in seinem Kopf untergehen. Er befand sich beinahe in einer Art Trance, dabei waren seine Sinne messerscharf, als hätte er Acid eingeworfen, er registrierte jede Schattierung des Wegs vor ihnen, den Geschmack und Geruch der Luft, das Stampfen der Hundepfoten im Schnee, die großartige, wunderbare Maschinerie des eigenen Atemvorgangs und den unbeugsamen Schlag seines Herzens. Dies war sein Moment, dies war die Verschmelzung, und er spürte es mit jeder Zelle seines Körpers. Ihm war nicht einmal kalt. Nicht im geringsten.
Doch dann wurde aus dem dünnen, unaufdringlichen Schwirren, das auch das Summen eines Moskitos in einer schlaflosen Sommernacht hätte sein können, etwas Größeres, Lauteres, ein bedrohlich ratterndes Verhängnis, bis sie es nicht mehr ignorieren konnten. Er blickte auf die Rücken der Hunde, zu der dunklen Baumlinie weiter vorn, und dann sah er zu Sess hinüber, gerade als die Cessna über den Baumwipfeln hinter ihnen hervorbrach, keine fünfzig Meter über dem Boden, und genau auf sie zuhielt. Sess stockte keinen Moment. Er feuerte die Hunde an, trieb sie an zu mehr Tempo. Und dann wandte er sich an Marco, alles ging rasend
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