Grün war die Hoffnung
Mäntel aufbewahrt, anderswo war kein Platz. Pamela sah sich um und verströmte pure Energie, und dann umarmte sie alle, einen nach dem anderen. Sie sah toll aus – gesund und hübsch –, der Wind hatte ihr Gesicht gerötet, ihr honigblondes Haar war in der Mitte gescheitelt und schlängelte sich den Pulli hinunter bis zu den Rentieren, die auf ihren Brüsten tanzten, und sie trug das Perlenstirnband, das ihr Star geschenkt hatte. »Weißt du, wie du aussiehst?« fragte Star und hielt ihr den Joint hin, der eben wieder in ihrer Hand gelandet war.
»Nein, wie denn?«
»Wie ein Hippie.«
»Du meinst, wie eine Hippie braut ?«
Star brauchte eine Minute, um das zu verdauen. »Willst du mich flippen?«
»Wer, ich? Aber nein, nie.«
Sie sah zu, wie Pamela so tat, als würde sie inhalieren, dann nahm Star ihr den Joint wieder ab. »Und wo ist Sess?« fragte sie.
Achselzucken. »Draußen auf der Fallenstrecke. Aber der kommt schon. Würde ich ihm jedenfalls raten.« Sie schüttelte sich das Haar mit einer jähen Geste aus dem Nacken. »Ist schließlich unser erstes Weihnachten. Ich bring ihn um, wenn er nicht hier eintrudelt.«
Der Gedanke kam ihr komisch vor, denn warum sollte er denn nicht eintrudeln? War es so reizvoll da draußen? Soweit Star erkennen konnte, gab es vor den Fenstern nichts als die Nacht und die Kälte und die Hügel, die in die nächsten Hügel übergingen. Hier drinnen spielte das Leben, das einzige Leben kilometerweit. Hier gab es Essen, Musik, Bier, Wein. Es gab Rumpunsch, und es gab Kekse. Gelächter und Geselligkeit. Hier gab es Menschen. Brüder und Schwestern. »Ach, der kommt schon«, wiederholte sie. »Da bin ich mir sicher.«
Nach dem Essen tauchten Verbie und Iron Steve auf und dehnten damit die Party auf Boynton aus, und sie tanzten, alle tanzten, ganz Drop City, sogar Che und Sunshine, und niemand nörgelte herum und log und betrog und prahlte und stahl und nannte alles lahm, niemand. Um Mitternacht stieg Bill aus dem Loft herunter, verkleidet als Weihnachtsmann mit Wattebauschbart, und noch das letzte Stück roter Stoff, das auf Drop City aufzutreiben war, schmückte seine massige Gestalt, und er verkündete, er habe ein Geschenk für sie alle, gleich draußen vor der Tür. Die Leute ächzten und wechselten fragende Blicke. Draußen? Man murrte und äußerte laut seinen Unwillen. »Ist der noch zu retten?« meinte Merry.
»Glaubt mir«, lockte Bill, »ihr werdet voll drauf stehen.«
Star fühlte sich schweben, sie saß gemütlich zwischen Marco und Pamela auf dem Bett gleich neben dem Ofen, satt und warm, und ließ sich von der Musik durchdringen. Seit einer Stunde hatte sie kein Wort gesagt. Ihr tat Pamela leid, weil Sess immer noch nicht aufgetaucht war, und das war der einzige Wermutstropfen des Abends – das einzige, was uncool war, was abturnte, das einzige, was nicht so funktionierte wie geplant. Pamela machte sich Sorgen, das sah Star, und während die Stunden verrannen, hatte sie irgendwann alle üblichen Sachen schon gesagt, so daß es nichts mehr zu sagen gab, und dann ging ein Joint herum, dann eine Flasche Wein, und sie lehnte sich gegen Marco und ließ sich schweben. Jetzt aber, jetzt stand Bill mitten im Zimmer – es war Weihnachten, es gab eine Überraschung, ein Geschenk. Für alle, hatte er gesagt.
Es dauerte eine Weile, die Leute schlüpften in ihre Jacken und Stiefel, suchten in dem Gewirr aus Mänteln auf dem Loft nach Handschuhen und Schals, dann aber traten sie einer nach dem anderen durch die Tür in die Kälte hinaus. Bill ging voran. Er stand auf dem Platz vor dem Versammlungsgebäude, der Weihnachtsmann mit seiner verfreakten Matte auf dem Kopf und dem Wattebart, die Arme hoch erhoben. Es war ein klarer Himmel und so kalt, daß sogar die Sterne an den Zähnen frieren mußten. »Da ist es!« rief er, und sie sahen empor zu dem Licht, das dort oben pulsierte, kosmisches Licht, gelbgrün und blau, mit Spuren von Rot darin, ein unermüdliches Glühen, ein Licht, das aus der schwarzen Hülle des Horizonts hervorstob und explodierte und zerstob und sich ständig erneuerte.
34
Er war so schnell unterwegs, wie er nur konnte, der Sturm hatte sich gelegt, der Viertelmond schob sich durch die Wolkenfetzen und erhellte seinen Weg. Er hatte den Wind im Gesicht, die Kälte fuhr auf seinen Schultern mit wie ein Anhalter. Man hörte das Wispern der Kufen im frischen Pulverschnee und das leise, vom Wind verblasene Klirren der eiskalten Stahlbeschläge in den
Weitere Kostenlose Bücher