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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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auslöschte. Es gab ihm Ruhe zum Nachdenken, denn die vergangene Woche war reichlich chaotisch gewesen, lauter Fragen vom Sheriff und seinem Deputy, eine Runde Drinks im Three Pup zum Gedenken an die beiden Toten, noch mehr Fragen, Formulare, die ausgefüllt werden mußten, das Leben unter Menschen, die Beerdigung. Bosky war erfroren und Pan ebenfalls – nachdem sie etwas so Unsinniges und Gedankenloses getan hatten, daß es nicht mal die Langhaarigen glauben konnten. Oder vielleicht glaubten sie es doch. So was Ähnliches wie Pan war auch mal einem Soldaten im Manöver bei Fort Wainwright passiert, vor drei oder vier Jahren im Winter, der hatte gemeint, er könne auf die Vorschriften pfeifen und sich beim Postenschieben in der frostigen Nacht ein wenig Trost aus dem Flachmann verschaffen. Es war widerlich. Es war jämmerlich. Aber hier oben verunglückten Flugzeuge, und Menschen erfroren. So war das nun mal.
    Was bis auf Sess und Marco niemand wußte: während der Hippie – Pan – tatsächlich schon ein steifgefrorener Leichnam gewesen war, als sie hinkamen, hatte Bosky noch gelebt und geatmet und genug von ihnen wahrgenommen, um seine letzten vier Worte herauszubringen. Es war ein schwieriger Augenblick gewesen. Der Augenblick, auf den Sess seit über zwei Jahren gelauert hatte. Er stand über ihm mit seiner Zweiundzwanziger, knapp davor, abzudrücken – aus Zorn, logisch, den gab es, Haß und Zorn –, aber da war auch noch etwas anderes gewesen, halb Mitgefühl und halb Gewohnheit. Als er den Lauf seines Gewehrs auf Bosky richtete, empfand er nämlich nicht viel anders, als wenn er irgendein Vieh erledigt hätte, das mit gebrochenem Rückgrat in einer von seinen Baum- oder Schnappfallen saß, die eigentlich für eine größere Beute gedacht waren. Tod in Sekunden statt erst nach Stunden – das war Gnade und Menschlichkeit, selbst an einem Ort, an dem man so etwas eigentlich nicht erwartete. Doch er tat es nicht. Ein Einschuß hätte Erklärungen erfordert, und diese Erklärungen würden eine lange Spur von Lügen und Ausflüchten nach sich ziehen, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Und dann noch etwas: Bosky verdiente keine Kugel – die hob er sich besser für den stinkendsten Skunk auf, für Stachelschweine und die fetten Ratten des Sommers. Schließlich hatte Sess, nachdem er Boskys letzte Worte vernommen hatte, dem Mann schlicht den Rücken gekehrt, und darüber gab es auch keine Diskussion mit Marco – er war nicht in Stimmung zum Diskutieren. Und für demokratische Entscheidungen ebensowenig. Die beiden hatten sich einfach vom Feuer, von dem Flugzeugwrack, von der Leiche des einen und dem langsam gefrierenden Körper des anderen entfernt, und am Morgen waren sie zurückgekehrt, um die Toten aufzuladen und nach Boynton zu bringen. »Hör mal«, sagte er zu Marco, »gibt keinen Grund, irgendwelche Einzelheiten zu erwähnen. Das Flugzeug ist abgestürzt, damit hat sich’s, und wir haben die Leichen gefunden.«
    Damit war die Sache erledigt. Und obwohl er sich noch nie am Tod eines anderen Menschen – oder überhaupt einer Kreatur – ergötzt hatte, mußte er sich eingestehen, daß für ihn Weihnachten diesmal etwas früh gekommen war. Irgend jemand, ein verhutzeltes, verheultes Elternteil, eine Tante oder ein zwielichtiger Bruder, würde sicher im Frühling aufkreuzen, um aus dem Blockhaus am Woodchopper Creek ein paar Dinge von sentimentalem Wert abzuschleppen, und danach würde die Hütte leerstehen, wer sie haben wollte, konnte sie beziehen, aber es würde sich niemand finden. Im Laufe der Jahre würden die Dachbalken verrotten, die Soden der Schwerkraft nachgeben, die Wände einstürzen, die Dielen durchkrachen. Im Kaminrohr würden Vögel ihre Nester bauen, Mäuse in den Schubladen Junge kriegen. Und eines Tages, irgendwann in der Kälte des nächsten Winters, würde sich ein Wolf auf das Gelände stehlen, die letzte schwache Witterung von Bosky, Pan und Sky Dog aufnehmen und kurzerhand ein Bein heben, um diese Witterung auszulöschen.
    Sess kam damit klar, es war die natürliche Ordnung der Dinge. Er hatte den kalten Wind im Gesicht. Am Himmel spielte das Polarlicht und trieb die Wolken in die Flucht. Der Schnee flüsterte unter seinen Schuhen, sprach zu ihm, sang zu ihm im Rhythmus der Nacht. Er war unterwegs nach Hause, er stand auf den Schlittenkufen und atmete ganz ruhig, ein Mann im warmen Pelz, vor sich ein Hundegespann, in einer rauhen, wilden Gegend, und er war unterwegs nach Hause

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