Grün war die Hoffnung
kurz nach zehn, aber die bunten Glühbirnen, mit denen die Palmen behängt sind, leuchten und schimmern sanft vor dem Hintergrund der regenverhangenen Straße, die durch das Geschäftsviertel und vorbei an zahllosen Restaurants und Surfshops zur Pier führt, wo sie den Cabrillo Boulevard kreuzt, den Ocean Boulevard von Santa Barbara, Touristenattraktion der Stadt und irdisches Paradies umherschweifender Penner: großzügig, breit und von Palmen gesäumt, führt er am Meer entlang, von den Klippen am East Beach bis zur Marina im Westen, die Daves Ziel ist. An einer Ampel muss er halten, die Scheibenwischer fegen in Intervallen den Nieselregen beiseite. Genau vor ihm ist der Springbrunnen am Anfang der Pier, und für einen Augenblick ist er abgelenkt und denkt an den Penner von etwa Mitte Zwanzig mit dem Zylinderhut und dem knallroten Jackett – warum gibt’s so was heute nicht mehr? –, der an diesem Brunnen die Nummer mit seinem Disney-Hund abgezogen hat, den er im Tutu herumtanzen ließ, während im Hintergrund die Fontäne des Brunnens spritzte und schäumte. Der Junge war der König der Penner – die Touristen standen Schlange, um ihm ihr Geld abzuliefern. Er ist natürlich nicht mehr da, schiebt wahrscheinlich einen Einkaufswagen durch irgendeine Gasse. Der Zylinderhut ist zerdrückt, der Hund tot, der Rest seines Lebens eine einzige lange Reise ins Nirgendwo.
Und dann denkt er an den Burschen, der ein Vorstandsmitglied von AT&T hätte sein können, wenn man ihm einen Anzug und einen Haarschnitt verpasst hätte, einen umtriebigen Mann, dessen Revier unterhalb des Geländers war, wo die Pier von der Promenade abzweigt. Er faltete Boote aus weggeworfenen Pappkartons und schenkte sie den Touristen, die auf der Pier vorbeischlenderten und auf koreanisch, deutsch, schwedisch und newyorkisch schnatterten. Heutzutage breiten die Penner bloß eine Decke auf dem Sand aus, stellen einen Plastikbecher in die Mitte, setzen sich in den Schatten der großen Pfeiler und lassen die Flasche mit dem Zeug, das sie trinken, herumgehen, bis der Becher unter einem Berg aus Quarters, Dimes und Nickels begraben ist. Herrgott. Es ist wie Krabbenfischen oder so. Wie ein Sport.
Hinter ihm ertönt grell eine Hupe. Die Ampel hat auf Grün geschaltet. Er sieht in den Spiegel – irgendein Arschloch, das die Mütze verkehrt herum aufhat, und neben ihm sitzen seine Freundin und ein großer gelber, hechelnder Hund auf dem Vordersitz eines Geländewagens – und gibt Gas. Der Wagen bricht kurz aus, doch er fängt ihn ab und rast davon, und er ist nicht mal wütend, bloß … zielstrebig. Vor dem Yachthafen kommen noch zwei Ampeln, und beide zeigen Grün. Als er sich der ersten nähert, bremst er so weit ab, dass sie in dem Augenblick auf Rot schaltet, in dem er an ihr vorbeifährt, so dass der Scheißkerl, der dicht aufgefahren ist, um ihn zu provozieren, anhalten muss. Tja, mein Lieber, war wohl nichts. Einen Augenblick später ist er ausgestiegen, geht auf dem betonierten Kai und kramt in der Tasche nach dem Kartenschlüssel. Als das Maschendrahttor am Anfang des Stegs in Sicht kommt, das da montiert worden ist, damit sich keine Unbefugten hineinschleichen (sprich: Penner – und wie war das noch, vor ein paar Jahren, als ein nautisch bewanderter Penner mit einer geklauten Yacht einen Ausflug nach Ventura gemacht und das Boot dann auf den Klippen versenkt hat?), sieht er, dass Wilson ihn schon erwartet.
Wilson Gutierrez ist siebenundzwanzig, ein erstklassiger Zimmermann, dessen Mutter in den sechziger Jahren aus Kopenhagen hierhergekommen und dageblieben ist und dessen Vater laut den Mehrere-Angaben-möglich-Kästchen auf den Volkszählungsformularen ein Weißer hispanischer Abstammung aus Culiacán ist und jetzt in der West Side von Santa Barbara wohnt. Er spricht seinen Namen Uill-sonn aus – das ist etwas, auf das er großen Wert legt, da ist er regelrecht empfindlich. Er hat blaue Augen, einen glatten schwarzen Spitzbart und einen goldenen Knopf in der linken Ohrmuschel, so dass er aussieht, als hätte ihn einer mit einem Blasrohr erwischt. Er kriegt Sonnenbrand wie jeder andere auch, er ist schlank und rank, aber breit in den Schultern und Oberarmen, und die Unterarme sind besonders muskulös – »Wie Popeye«, sagt er immer, »und das kommt nicht vom Spinat, sondern davon, dass ich den ganzen Tag den Hammer schwinge, und zwar mit beiden Armen« –, und er ist neben Dave und Anise eins der drei Gründungsmitglieder der FPA, seit
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