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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zitternd, leidend, ohne auf ihn oder sonst irgend etwas zu achten, und was ist mit dem Waschbären, dem Opossum, dem Hund, der vorbeikommt und das sterbende oder tote Tier frisst? Der kriegt dann eine sogenannte Sekundärvergiftung, und die dürfte kein bisschen besser sein.
    »Okay«, sagt er und stützt sich am Tisch ab, weil das Boot jetzt kräftiger schaukelt, »ich sehe keine Hubschrauber, noch nicht, aber wenn sie das Gift abwerfen, wird die Insel gesperrt. Wir müssen uns also beeilen, denn wer weiß, wie lange es dauert, bis irgendein Park-Service-Typ kommt und uns sagt, dass wir nicht Land gehen dürfen.« Er hebt einen der Rucksäcke prüfend an. »Ach ja, und wir müssen alles auf nur zwei Rucksäcke verteilen.« Er sieht Anise an und schlägt die Augen nieder. »Der Wind frischt auf, Baby. Du musst an Bord bleiben. Wie wir es besprochen haben.«
    »Nein. Kommt nicht in Frage.«
    »Tut mir leid.«
    »Scheiße!« bricht es aus ihr heraus. Sie zieht ihren Rucksack über den Tisch zu sich, so dass es aussieht, als wäre das Ding plötzlich zu wildem Leben erwacht, hebt ihn hoch und wirft ihn auf den Boden. »Ich will nicht hier eingesperrt sein, während ihr da drüben ich weiß nicht was tut . Ich will mitmachen. Was glaubst du denn, warum ich mitgekommen bin?«
    Aber das geht ihm zum einen Ohr herein und zum anderen hinaus, denn sie werden sich nicht streiten, nicht hier, nicht heute, und so gibt er keine Antwort. Er stellt seinen Rucksack zwischen Tisch und Bank, öffnet die Deckelklappe und sieht, dass er kaum mehr als halbvoll ist. Wortlos und ohne aufzusehen beugt er sich vor, nimmt Anises Rucksack und schüttet die Hälfte des Inhalts in seinen. Es raschelt leise, als die Tabletten und das Trockenfutter gegen den Nylonstoff rieseln. Wilson stellt seinen eigenen Rucksack daneben und schüttet den Rest hinein. Als sie fertig sind, die Rucksäcke geschultert und die schwarzen Baseballmützen aufgesetzt haben – das war Anises Idee, ebenso wie die schwarzen Jeans und Kapuzenshirts, die etwaige Zeugen verwirren sollen –, zieht er eine Tube Sonnencreme aus der Tasche und hält sie ihr hin. »Das ist nicht fair«, murmelt sie, drückt etwas Creme auf ihre Handfläche, beugt sich vor und verteilt das Zeug mit energischen, kreisenden Bewegungen auf seinem Gesicht und Hals. Ihre Hände sind kalt, ihre Finger sind wie aus Holz und lassen ihn wissen, wie ungehalten sie ist.
    Was soll er sagen? Dass es ihm leid tut, dass er es wiedergutmachen wird, dass irgend jemand schließlich das Kommando haben muss? Dass das Leben eben nicht perfekt ist? Dass sie nicht mehr im Kindergarten ist, ebensowenig wie er? Er steht auf, noch während sie die Creme verreibt, er ist mit einemmal ungeduldig und nervös und fürchtet, dass die Sache ihm entgleitet, und alles, was ihm einfällt, ist: »Wenn das Boot sich vom Anker losreißt, startest du den Motor und hältst es auf Abstand zu den Klippen, bis wir wieder da sind. Okay? Hast du verstanden?«
    Dann sitzen sie im Beiboot, die Wellen werfen sie hin und her wie Prankenhiebe, obwohl sie noch in Lee der Paladin sind, und Anise reicht ihnen die Rucksäcke hinunter, während er am Starterseilzug des kleinen, gerade mal zwanzig PS starken Außenbordmotors zieht und denkt: Bitte, lieber Gott, lass sie nicht nass werden. Nicht jetzt. Nicht nach all der Mühe. Er stellt sich vor, wie das kleine Boot kentert, das Bild steht ihm ganz deutlich vor Augen: der Schock des kalten Wassers, die harten Wellen, er und Wilson rudernd und schnaufend, während das gekenterte Boot davontreibt und Vitamintabletten im Wert von tausend Dollar auf den Grund der Bucht sinken und alle Ratten auf der Insel aus Mund, Ohren und Anus bluten. Der Wind schmeckt nach Versagen, nach Niederlage und Demütigung. Es ist vorbei , denkt er, vorbei, noch bevor wir überhaupt angefangen haben. Aber Wilson weiß, was er tut, Anise ist geschickt, und der Motor springt beim zweiten Versuch an und stößt eine kleine Abgaswolke aus. Das Beiboot löst sich von der Paladin , und er dreht den Gasgriff und steuert auf den Anlegesteg zu.
    Wegen der Klippen ist es die einzige Stelle, wo man anlegen kann. Sie werden dabei gut zu sehen sein, aber der Steg ist leer, und der Himmel zieht sich zu. Er fragt sich, ob der Park Service es bei diesem Wetter riskieren wird, die Hubschrauber loszuschicken. Vielleicht nicht. Vielleicht können Wilson und er den Vergiftern zuvorkommen, den Ratten einen Vorsprung verschaffen. Sie retten. Sie

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