Grün war die Hoffnung
an Deck gegangen, um die glänzenden Cetazeen wie zum Leben erweckte Schatten durch das Wasser schießen zu sehen. Als sie aufblickt, entdeckt sie Tim unter ihnen, in der linken Hand einen Pappbecher mit Kaffee, in der rechten ein Fernglas.
Es ist Anfang Juni, zehn Uhr morgens, knapp zweieinhalb Jahre nach dem ersten Abwurf des Bekämpfungsmittels, und sie machen diesen kleinen Ausflug einzig und allein um zu feiern: Während die Journalisten auf ihre Tastaturen einhämmern, die Fotografen mit Digitalkameras hantieren und das Fernsehteam filmt, wird sie zusammen mit Freeman Lorber, dem Direktor des Parks, das Sektglas erheben und verkünden, dass die drei Inseln, aus denen Anacapa besteht, zu hundert Prozent rattenfrei sind. Im Augenblick ist sie damit beschäftigt, ihre Presseerklärung zu formulieren – der Artikel des Reptilienforschers Robert Ford Smith, mit dem sie auf Guam zusammengearbeitet hat, muss warten, bis sie einen Augenblick Zeit hat. Er ist heute morgen per E-Mail von der Forschungsstation in Ritidian Point an der Nordspitze der Insel, wo die Strände waschpulverweiß sind, wo die Vegetation wuchert und es von Schlangen wimmelt, in ihrem Büro eingetroffen, bevor sie es um Viertel nach sieben verlassen hat, und sie freut sich darauf wie ein Kind auf ein neues Computerspiel, aber die Pflicht ruft, sie ruft wie immer und geht wie immer vor.
Die Presseerklärung, an der sie seit zwei Tagen feilt, soll die anwesenden Journalisten und durch sie die Allgemeinheit darüber informieren, dass das Rattenbekämpfungsprojekt ein voller Erfolg war. Seit dem Einsatz des Mittels konnten auf Anacapa keinerlei Hinweise auf Ratten mehr gefunden werden, weder Nester noch Kot oder Spuren oder irgendwelche Anzeichen von Nesträubern – die Eierattrappen, welche die Ornithologen in die Nester verschiedener Vogelarten geschmuggelt haben, sind unberührt, während sie früher Bissspuren von Nagezähnen aufwiesen. Aufgrund eingehender Beobachtungen in den vergangenen zwei Jahren kann sie mit absoluter Gewissheit sagen, dass sämtliche Exemplare der Zielspezies eliminiert sind. Die Folgen waren unmittelbar sichtbar: Die Bestände der Seevögel haben sich erholt, ganz zu schweigen von denen des Channel-Islands-Salamanders, des Seitenfleckleguans – dessen Zahl sich verdoppelt hat – und der Hirschmaus, deren Population auf achttausend Exemplare geschätzt wird, was der höchste je ermittelte Stand wäre. Und mehr noch: Tim Sickafoose, beratender Ornithologe, hauseigener Humorist und überhaupt der reinste Märchenprinz, hat zum erstenmal seit Menschengedenken ein Brutpaar Aleutenalken entdeckt, und zwar auf Rat Rock, einem Felsen, der – und das wird ein subtiler, aber triumphaler Scherz in ihrem sonst recht trockenen Text sein – in naher Zukunft wohl wird umbenannt werden müssen. Wie wär’s mit Auklet Rock? denkt sie. Höre ich noch andere Gebote? Warum nicht Sickafoose Point? Das hätte doch was.
Aber Scherz beiseite – sie macht sich Gedanken über kleine Details: Zeichensetzung, Absätze, die abgedroschenen Phrasen, die ihr jedesmal, wenn ihr Blick darauf fällt, dümmer vorkommen. Nein, nicht nur dümmer, sondern regelrecht idiotisch. Zum Beispiel hier, gleich im ersten Absatz, bezeichnet sie Lorber als »vorbildlichen Kämpfer für den Naturschutz«, und das ist zwar wahr, aber macht es ihn nicht auch zu etwas Statischem, zu einem dieser aus dem Fels gehauenen Präsidentenköpfe am Mount Rushmore oder einer stumpf gewordenen Schwertklinge? Oder schlimmer noch: zu etwas Totem? Auf dessen Grabstein steht: »Liebender Ehemann und Vater, vorbildlicher Kämpfer für den Naturschutz«?
»Hallo«, haucht Tim und lässt sich auf den Platz neben ihr sinken. Das Boot hat wieder Fahrt aufgenommen, und die Passagiere kehren in die Kajüte zurück, alle bis auf die Sechstklässler, die an der Reling stehen, bis sie durchnässt sind und frieren und dringend die heiße Schokolade, das Popcorn und die in der Mikrowelle erwärmten Burritos brauchen, die es in der Kombüse gibt. »Bist du damit immer noch nicht fertig?« fragt er anzüglich. Sie sieht ihn von der Seite an. Da sitzt er also, dringt in ihre Privatsphäre ein – was, wie sie sich ermahnen muss, das Vorrecht eines Liebhabers ist – und grinst sie schief an. »Es gibt nämlich, wie du weißt, einen Punkt, an dem man anfängt, das Ding zu Tode zu verbessern. Und außerdem soll das hier doch eine Party sein, oder irre ich mich?«
Sie ist drauf und dran, ihn
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