Grün war die Hoffnung
achtzehn weltweit einzigartigen Vogelarten, die, wie andere Inselspezies, jener Naivität zum Opfer fielen, die dem Dodo und seinesgleichen zum Verhängnis geworden war. In ihrem angestammten Lebensraum lebt Boiga irregularis in einem natürlichen Gleichgewicht mit anderen Spezies und ist nicht besonders beeindruckend oder gefährlich. So ist ihr Gift, das durch Giftzähne im hinteren Bereich des Mauls injiziert wird, relativ schwach und für Menschen kaum gefährlich. Außerdem ist sie nachtaktiv und daher nur selten zu sehen, und da sie sehr schlank ist – Exemplare von etwa einem Meter Länge sind nicht dicker als der Zeigefinger eines Mannes –, wirkt sie nicht annähernd so bedrohlich wie einige andere tropische Schlangen, wie die Kobras, Boomslangs, Mambas und Wassermokassinottern, die durch die Alpträume der Ophiophoben gleiten.
Dennoch hat sie sich als eine der erfolgreichsten und schädlichsten invasiven Spezies überhaupt erwiesen. Von den erwähnten achtzehn endemischen Vogelarten gibt es noch elf, zwei davon – die Guamralle und der Zimtkopfliest – existieren nur noch in Gefangenschaft, sechs sind in ihrem Bestand bedroht und drei weitere stark dezimiert. Die Populationsdichte der Braunen Nachtbaumnatter – bis zu fünftausend pro Quadratkilometer – gehört weltweit zu den höchsten. Sie ist unglaublich anpassungsfähig und frisst, wenn sie keine Vögel fangen kann, ebenso gern einheimische Frösche und Eidechsen sowie die eingeführten Geckos, Skinke, Aga-Kröten und alle anderen Tiere, die durch ihren Schlund passen. Sie wird bis zu drei Meter lang und erscheint in Toiletten, Duschen und Babybetten. Seit 1978 gab es zwölftausend Stromausfälle, weil Nachtbaumnattern auf Strommasten geklettert waren und Kurzschlüsse verursacht hatten – unabsichtlich natürlich, aber trotzdem fielen Lampen, Computer und Kühlschränke aus. Vor allem sind Nachtbaumnattern hervorragende, furchtlose und zunehmend gierige Kletterer, auf deren Speiseplan inzwischen nicht nur Tierfutter, sondern auch Haustiere stehen (in einem dokumentierten Fall ein drei Wochen alter Golden-Retriever-Welpe), ja eigentlich alles, was nach Fleisch riecht. Oder nach Blut.
Daran denkt Alma, als sie den Ausdruck des Artikels »Der Einsatz von Paracetamol zur Bekämpfung von Boiga irregularis in insulären Habitaten« liest, der neben ihrem Laptop liegt. Sie sitzt an einem der leise schwankenden Resopaltische in der Hauptkajüte der Islander , die nach Anacapa unterwegs ist. Sie trinkt etwas Kaffee aus dem Pappbecher und starrt auf den Bildschirm, wo die ordentlich ausgerichteten Zeilen sich mit der Tischplatte, dem Deck und dem Rumpf darunter hypnotisch heben und senken, und sie hat noch nicht gemerkt, dass sich Kopfschmerz ankündigt, aber einmal pro Minute hebt sie wie im Reflex den Blick vom Bildschirm und sieht über das Meer, als wollte sie ihren Augen mehr Weite gönnen. Dann kehrt sie zu ihrem Text zurück, schlägt die Rücktaste an und fügt eine Formulierung ein oder ergänzt einen Satz, wobei sie lautlos die Lippen bewegt. Ihre Stirn ist gerunzelt, aber auch das merkt sie nicht.
In der Kajüte sowie auf dem Vorder- und Achterdeck ist Platz für etwa hundertfünfzig Menschen, und heute sind fünfundachtzig dieser Plätze für Angestellte des National Park Service und verschiedene am Anacapa-Wiederherstellungsprogramm beteiligte Biologen reserviert, darunter auch Tim. Außerdem sind einige Journalisten von AP , Los Angeles Times und Santa Barbara Press Citizen , ein Dutzend Lokalpolitiker und Multiplikatoren sowie ein Fernsehteam vom örtlichen NBC-Büro an Bord. Im Laderaum stehen drei große Kühlschränke, vollgestopft mit mariniertem Hähnchenfleisch, Putenwurst und Tofuburgern zum Grillen, verschiedenen Salaten, Vollkornbroten und einem Topf Chili und Reis, ein vierter enthält Erfrischungsgetränke, in Flaschen abgefülltes Trinkwasser und Desserts, und in einem fünften befindet sich ausschließlich Champagner. Zwei Kartons. Gut gekühlt. Kalifornischer Champagner aus dem mittleren Preissegment, wie es dem Budget des NPS ansteht, aber dennoch Champagner – oder vielmehr Sekt.
Das Meer ist ruhig, der Nebel löst sich bereits auf. Der Kapitän hat die Fahrt verlangsamt, weil eine Schule Delphine in Sicht gekommen ist, und die meisten Passagiere – Touristen, Wanderer, eine von Zucker und Hormonen befeuerte Gruppe von Sechstklässlern, die der Kontrolle der beiden geplagten Lehrerinnen zunehmend entgleitet – sind
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