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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dazugehört, die alten Geschichten noch einmal zu hören, dann hat er nichts dagegen. Wenn es Rita glücklich macht – er wirft einen verstohlenen Blick über die Schulter und sieht die beiden in den Liegestühlen sitzen, wo sie die Köpfe zusammenstecken und der Wind mit ihrem Haar spielt –, macht es Anise ebenfalls glücklich. Und Anises Glück ist sein ganzes Streben. Das sagt er sich jedenfalls, während er den Gashebel bis zum Anschlag nach vorn schiebt und Scorpion Bay in Sicht kommt.
    Er weiß, dass er nicht vor Anker gehen sollte, ohne zuvor mit dem Fernglas die Pier, den Strand und den ausgetretenen Pfad abgesucht zu haben, der sich um die Felswand rechts der Bucht herumwindet, denn dort ist das Haus, wo die Ranger sind, wenn überhaupt welche da sind. Rita beugt sich zerzaust und mit gerötetem Gesicht über die Reling, als er beidreht. Sie hat ihr eigenes Fernglas, ein kleines Ding zur Vogelbeobachtung, das sie aus der Tasche gezogen hat. »Da«, ruft sie, und ihre Stimme ist hell vor Aufregung, »ist das nicht der Jeep? Bax’ Jeep?«
    Und jetzt ist Anise neben ihr und schirmt mit der Hand die Augen ab, bis Rita ihr das Fernglas gibt. Sie braucht einen Augenblick, um es einzustellen, und geht ein wenig in die Knie, um das Schaukeln auszugleichen. »Ich weiß nicht«, sagt sie, »ob da ein gelber Fleck ist oder ob ich mir das einbilde.«
    Von da, wo er sitzt, kann er nur einen Haufen verrosteter Farmgerätschaften sehen, die der Park Service vom Haus heruntergeschleppt und im hohen Gras oberhalb der Flutlinie hat liegenlassen. Wahrscheinlich wollten sie das Zeug ganz wegschaffen und die Bucht ordentlich aufräumen, aber dann hätten sie einen Kran holen und alles auf einen Lastkahn verladen und zum Festland bringen müssen, und so hat irgendein Genie vom Park Service beschlossen, den ganzen Schrott einfach zu einer Kuriosität zu erklären, zu einem historischen Artefakt, einer Erinnerung an die Zeiten, als Leute wie Anises Mutter hier Schafe gezüchtet haben. Vielleicht könnte er in dem Haufen etwas entdecken, das einst ein Jeep gewesen sein könnte, doch er müsste seine Phantasie bemühen, um aus den verbogenen Metallteilen eine Karosserie zu formen, und ist zu sehr damit beschäftigt, das Fernglas auf diesen oder jenen Punkt zu richten und Ausschau nach Amtspersonen, Jägern, Gewehren, Hunden, Hubschraubern zu halten, um der Sache mehr als nur flüchtige Aufmerksamkeit zu schenken.
    Er beschließt zu ankern und das Beiboot zu Wasser zu lassen. Was können sie schon tun – ihn erschießen? Er sieht niemanden, nichts, keine Bewegungen außer denen der Ufervögel, die tun, was sie immer tun, und als Farbflecken auf flinken Füßen umherrennen. Der Außenbordmotor springt beim ersten Versuch an, und im nächsten Augenblick reiten sie auf einer langen, glatten Welle in Richtung Pier. Anise und ihre Mutter sitzen wie festgeklebt am Bug, die Gesichter angespannt vor Erwartung, und für einen Augenblick sieht er sie beide als Kinder, als Pfadfinderinnen vielleicht, und das hier ist ihr Ausflug mit Lagerfeuer und Rückkehr zur Natur. Natürlich ist da ein Schild an der Pier, genau da, wo die Touristenboote anlegen, um die Leute aussteigen zu lassen, und es verkündet, was sie ohnehin schon wissen. AUF VERFÜGUNG DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN: INSEL FÜR ALLE BESUCHER GESPERRT / JEDES ANLANDGEHEN BIS AUF WEITERES UNTERSAGT.
    Aber sie sind jetzt da, keine zehn Meter entfernt. Anise hat Einwände – »Vielleicht sollten wir lieber doch nicht … « –, aber ihre Mutter sagt mit sanfter, überredender Stimme: »Was ist schon dabei? Ich meine, hörst du irgendwelche Schüsse? Siehst du irgend jemand? Wir könnten doch einfach … Ich will bloß die Erde unter meinen Füßen spüren. Fünf Minuten. Mehr nicht.«
    Und er denkt: Diese Scheißkerle . Und schiebt die Pinne von sich weg, so dass der Bug abrupt herumschwenkt und auf den Strand zielt. Er hebt die Stimme, um das Röhren des Motors zu übertönen, und ruft: »Wenn wir am Strand landen, können wir sagen, wir hätten das Schild nicht gesehen.« Gischt stiebt auf. Er nimmt das Gas weg und klappt den Propeller hoch, der flache Kamm einer Welle trägt sie an den Strand, sie spüren ein langgezogenes Beben und hören das Knirschen des Sandes unter dem Boot, und alles glänzt nass: Muscheln, Steine und die winzigen Krabbeltiere, die in der Brandungszone leben.
    Agil und gelenkig ist Rita bereits hinausgesprungen und zerrt an dem geflochtenen gelben

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